Jesaja 53, 3-5

Predigt am 18. April 2014 von Andreas Hansen über Jes 53, 3-5

Karfreitag

Jesaja 53, 3-5: „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Verachtet, erniedrigt, von allen verlassen stirbt Jesus am Kreuz. Was ist geschehen? Warum wehrt er sich nicht? Warum stirbt Jesus wie der schlimmste Verbrecher am Kreuz? Unfassbar war das damals und ist es heute. In panischem Schrecken sind die Jünger davon-gelaufen. Sie sehen ihn von ferne am Kreuz sterben. Er ist allein. Nur einer der Evangelisten, Johannes, berichtet von drei Frauen und dem einen Jünger nahe bei ihm. „Er war der Allerverachtetste … wir haben ihn für nichts geachtet.“ Das hatten die Römer im Sinn mit der Kreuzigung ihrer Gegner. Völlig hilflos waren sie einem langsamen, qualvollen Sterben preisgegeben, verächtlich gemacht, vernichtet. Die Jünger sind schockiert: Jesus, ihr Meister stirbt diesen Tod. Er hat Gottes Reich ganz nah gepredigt. Jetzt wird er verhöhnt durch die Dornenkrone und die Tafel über seinem Kreuz. „Da habt ihr euren König!“ Er hat nur Gutes getan. Jetzt wird er geplagt und geschlagen. Er nannte Gott seinen lieben Vater im Himmel. Jetzt lässt Gott ihn so leiden und sterben. Wie kann das sein? Dann denken sie an die Worte der Schrift. Es ist so gekommen, wie es im Psalm 22 heißt: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne. Ich bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute, verachtet vom Volke.“ Sie denken an Jesajas Lied über den Knecht Gottes, der gerecht ist und doch leiden muss. Sie staunen, wie sein Lied genau auf die Passion Jesu zutrifft. Sie sagen: „Es musste so kommen, wie es schon in der Schrift steht.“ Im Spiegel der Worte von Jesaja haben Christen zu allen Zeiten versucht, den Tod Jesu zu verstehen. Was ihm angetan wird, ist ungerecht. Sein Leiden ist schrecklich. Aber sein Tod ist nicht sinnlos. Jesus stirbt für uns.

Ich habe eine große Scheu davor, in formelhaften Sätzen zu reden, die für andere nichts aussagen. Wir verkünden den Tod Jesu. Wir sagen: „Er ist für uns gestorben.“ Dennoch tun wir uns schwer das zu verstehen. Dabei steht das Kreuz doch in der Mitte unseres Glaubens. Im Neuen Testament deuten die Christen der ersten Zeit den Tod Jesu unterschiedlich. Die Wahrheit ist nicht in eine Formel zu fassen. Sie hat viele Dimensionen. Was meinen wir, wenn wir sagen: Jesus ist für uns gestorben? In vier Schritten nehme ich Worte von Jesaja auf und versuche Antwort zu geben.

Eins: „er war der Allerverachtetste“ In diesem unmöglichen Superlativ hören wir: Schlimmer geht nicht. Tiefer, elender, leidvoller ist nicht vorstellbar. Alle Opfer von Erniedrigung und Gewalt wissen ihn an ihrer Seite. Es schaudert uns, wenn wir an die Not der Flüchtlinge heute denken, an die Gefolterten und an Opfer von Unrecht und Gewalt. Zu ihnen wollen wir um keinen Preis gehören. Aber Gott ist in Jesus gerade bei ihnen. Er ist da, wo das Leid am größten ist. Darum ist er auch bei uns an den tiefsten Punkten unseres Lebens, in Schmerz, Verzweiflung, Krankheit, Angst und Tod. Gott will bei uns sein, auch dann, wenn wir ganz unten sind. In diesem Sinn nimmt Gottes Sohn unser Leid, unseren Tod auf sich. Jesus ist für uns gestorben.

Zwei: „er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen“. Jesus hat Menschen geheilt. Das finden selbst seine Kritiker bemerkenswert. Jesus lebte für andere. Und wie er das tat! Er heilte Menschen mit schlimmen, ansteckenden Krankheiten. Er nahm sich der psychisch Kran-ken an, die man für besessen hielt und fürchtete. Er ließ sich auf die Sünder ein, die Verwerflichen, die Gescheiterten, die jedermann mied. Das war ein mühsamer, aufopferungsvoller Weg. Umstritten, angefeindet war er von Anfang an, obwohl ihm auch viele zujubelten. Die Verhaftung und das Todesurteil kamen nicht überraschend. Sie waren nur der letzte Schritt seiner Hingabe für andere. Wie kein anderer erkennt Jesus, was Menschen fehlt. Er kennt unsere Bedürftigkeit. Die Verlorenen will Jesus suchen und retten. So setzt Gott sich ein. So gibt Jesus sich hin. Jesus ist für uns gestorben.

Drei: „er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen“. Alle versagen und machen sich schuldig. Zynisch und grausam begeht Pilatus einen Justizmord. Brutal und ungerührt foltern die Soldaten Jesus. Verblendet und selbstgerecht verurteilen und verspotten ihn die Priester und das Volk. Feige lassen ihn seine Freunde allein. Und Jesus lässt all das geschehen. Er ist unschuldig und leidet, ohne sich zu wehren. Und er vergibt. Sie alle bedürfen der Vergebung. Wir alle bedürfen der Vergebung. Wir sind verstrickt in Schuld. Auch durch unser Versagen eskalieren Konflikte wie damals in Ruanda oder vielleicht heute in der Ukraine. Auch durch unser Versagen hungern Millionen und anderen werden aus marktwirtschaftlichen Gründen Medikamente vorenthalten. Auch durch unser Versagen werden spätere Generationen die Folgen des Klimawandels ausbaden. Durch unser Versagen scheitern Beziehungen. Egoistisch wenden wir uns von unseren Mitmenschen ab und damit auch von Gott. Aber Gott wendet sich uns zu. Gewiss: Das Unrecht kann nicht durch ein neues Unrecht aufgewogen werden. Blut reinigt nicht. Aber in Jesus nimmt Gott selbst die Folgen der Sünde auf sich. Er setzt sich ein. Er trägt die Last der Schuld. In diesem Sinn bringt unser Versagen, unsere Schuld Jesus ans Kreuz. Jesus ist für uns gestorben.

Vier: „Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Wir werden nicht bestraft, sondern versöhnt. Gott will uns versöhnen. Ein falscher Gedanke über Gott hat sich eingeschlichen und hält sich hartnäckig: Es ist falsch zu sagen, Jesu Tod stille den Zorn Gottes. Gott bedarf nicht der Versöhnung. Von Gott geht die Versöhnung vielmehr aus. Die Welt und wir haben Versöhnung bitter nötig. Die Welt braucht Frieden. Wir brauchen Gnade. Gott will uns schon immer gnädig sein. Gottes Gnade und Liebe sind nicht erst das Ergebnis des Todes Jesu am Kreuz, sondern der tiefe Grund für alle seine Werke. Aus Liebe zu uns wird Gott Mensch. Aus Gnade und Liebe heilt Jesus Menschen und vergibt ihnen und zeigt ihnen den Vater im Himmel. Aus Liebe geht er so weit, bis zum Kreuz, damit wir Versöhnung, Vergebung und Frieden haben. Jesus ist für uns gestorben.

„Für uns“. Was da am Kreuz geschieht, rührt uns an und verwandelt die Welt. Für unser Leid, für unsere Bedürftigkeit, für unser Versagen, für unseren Frieden stirbt Jesus. Auch heute, an Karfreitag, bleiben wir jedoch nicht am Kreuz stehen. Wir wissen schon um den Ostermorgen. Wir denken schon von Ostern her. Leid und Schuld und Tod behalten nicht das letzte Wort. Für uns, zu unserem Heil, ist Jesus gestorben und auferstanden. Das Kreuz, Zeichen des Todes und des Unheils, wird uns zum Zeichen der Überwindung von Tod, zum Zeichen des Heils.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.