Predigt am 20.11.16 von Andreas Hansen über Offenbarung 21,1-7
Ewigkeitssonntag - im Gottesdienst werden die Namen der in diesem Kirchenjahr Verstorbenen vorgelesen und für jeden eine Kerze entzündet
Heute ist Totensonntag.
Wir schauen zurück auf Abschied und Leid.
Die Trauer um geliebte Menschen bleibt schwer, als wäre uns ein Stück von uns selbst genommen. Dass alles so alltäglich weitergeht, erscheint uns zuweilen unwirklich. Wir schauen zurück wie auf einen Riss durch unser eigenes Leben.
Wir denken an unsere Toten. Wir denken an den Tod. Manchmal verschlägt es uns die Sprache. Wir verstummen vor Leid und Schrecken.
Und doch hören und sagen wir Worte, die über die bedrängenden Erfahrungen hinausweisen.
Wir zögern wohl, wir fragen, zweifeln.
Wir hören sehnsüchtig auf biblische Hoffnungsworte.
Wir nennen diesen Tag auch Ewigkeitssonntag. Wir sprechen von der Hoffnung, dass alles, alles von Gott gehalten ist. In Gottes Ewigkeit ist Heil und Leben. Da sind unsere Toten und da sind auch wir aufgehoben. Wir hoffen, dass Gott heilt, was zerrissen ist.
Der Predigttext dieses Sonntags steht im letzten Buch des Neuen Testaments, der Offenbarung des Johannes. Johannes ist auf die Insel Patmos verbannt. Dort erlebt er Visionen. Er sieht ein Ende der Gewalt. Gottes Gericht kommt. Gott bringt zurecht, was falsch und ungerecht ist.
Im vorletzten Kapitel seines Buches lesen wir:
Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herab kommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.
Und ich hörte eine Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!
Und er sprach zu mir: es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.
Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.
Was für Bilder! Eine Hochzeit. Eine himmlische Stadt. Das neue Jerusalem kommt wie eine geschmückte Braut. Jesus auf dem Thron. Gott wohnt bei uns, seine Hütte, sein Zelt bei uns. Alle Risse sind geheilt, alle Tränen getrocknet. Unser Durst nach Leben wird gestillt. Wunderbar!
Johannes darf über sein Leid hinaus schauen. Er bekommt eine Antwort.
Die Römer haben Jerusalem zerstört. So wird ein neues Jerusalem, die Stadt Gottes für ihn zum Hoffnungsbild. Jesus bestimmt das Bild. Er regiert. Der Kreis wird weiter. Jesus umfasst das Leid der geplagten und zerrissenen Welt. Frieden, eine gerechte, geheilte Welt – denken Sie nur!
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Der Tod wird nicht mehr sein. Kein Leid, keine Klage, kein Schmerz.
Sind das nicht zu große Worte? Flieht Johannes in einen Traum? Vertröstet er die Christen? Nein, Johannes schreibt ein politisches Buch, voll mit Anspielungen auf das Unrecht der Zeit damals. Nur verschlüsselt kann Johannes davon schreiben. Seine Leser aber können die Kritik am römischen Staat gut verstehen. Sie haben das Leid der Verfolgten unter Kaiser Domitian vor Augen.
Ähnlich erfahren wir von Leid oder hören vom Schmerz, der andere trifft – Nachrichten, die uns traurig und ratlos machen.
Vor wenigen Tagen wurde an die 130 Opfer der Terrorakte in Paris vor einem Jahr gedacht. Noch immer sitzt der Schrecken tief.
Der Tod der jungen Carolin Gruber in Endingen erschüttert uns hier in unserer Region.
Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, erleben mit, wie „unsere“ Flüchtlinge schlimme Nachrichten bekommen: dass der Vater eines Flüchtlings in Aleppo durch Bombensplitter umgekommen ist, dass der Cousin zu Tode gefoltert wurde, oder dass vor wenigen Tagen der Cousin gemeinsam mit 27 anderen durch einen Bombenangriff auf Hama umgekommen ist.
Bedrängend nah kommen uns die Gewalt, das Unheil und das Böse. Der Tod ist gegenwärtig im Sterben eines geliebten Menschen und im Schrecken über solche Nachrichten. Auch in ganz normalen Erfahrungen spüren wir unsere Grenze, unsere Vergänglichkeit.
Wo ist Trost?
Schweigt Gott?
Der Tod steht so mächtig vor uns, als müsste er das letzte Wort behalten.
Wir hoffen: Gott hat das erste Wort und das letzte Wort über uns und über alle.
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Der Tod wird nicht mehr sein. Kein Leid, keine Klage, kein Schmerz wird mehr sein.
Ich glaube nicht, dass Johannes vertrösten will. Er verschließt nicht die Augen vor der Wirklichkeit. Er sagt nicht „das ist doch gar nicht so schlimm“.
Im Gegenteil: Seine Visionen entfalten Kraft, sich der Wirklichkeit zu stellen, sich nicht zu ducken, sondern aufrecht zu stehen.
Wir lassen uns nicht unterkriegen von Gewalt und Unrecht.
Wir protestieren gegen den Tod.
Wir widersprechen im Namen Jesu Christi.
Ja, es sind sehr große Worte: „die neue Stadt Gottes – der Tod wird nicht mehr sein – Gott wird abwischen alle Tränen“. Ja, wir nehmen den Mund sehr voll, weil wir ja noch lange nicht dort sind. Viele werden sagen: „Ihr macht euch etwas vor. Ihr seid Spinner, wenn ihr auf die Visionen dieses Johannes hört.“
Darauf antworten wir: „Johannes spricht im Namen Jesu Christi. Jesus weicht der Wirklichkeit und dem Leid nicht aus – darum endet er am Kreuz. Mit Jesus am Ostermorgen, mit seiner Auferstehung beginnt schon die neue Wirklichkeit, die noch vor uns liegt.“
Jesus sagt: Siehe, ich mache alles neu. Auf ihn vertrauen wir.Wir verschließen nicht die Augen. Wir müssen nicht wegschauen oder verdrängen. Was Menschen plagt, nehmen wir ernst. Wir geben Raum dafür, dass Menschen weinen und trauern dürfen und wir versuchen Tränen zu trocknen. Wir wehren uns gegen den Tod und begleiten Sterbende. Der Tod erschreckt uns Christen ebenso wie andere Menschen. Aber die Hoffnung auf Gottes Ziel hilft uns, dem zu begegnen, was uns bedrängt.
Wir glauben: Gott gibt uns ein Ziel, das weit über alles Leid und auch über den Tod hinaus reicht.
Am Ziel erwarten wir den, der von sich sagt: Ich bin Anfang und Ende.
Am Ende wird die Liebe Gottes uns umfangen, seine Liebe, die uns auch ins Leben rief.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen