Gott hört – hört Gott? Predigt über Hebr 5,7-9

Predigt am 13.3.16 von Andreas Hansen über Hebr5,7-9

Hebräer 5,7-9

Jesus hat in den Tagen seines irdischen Lebens sein Bitten und Flehen mit lautem Schreien und unter Tränen vor den gebracht, der ihn vom Tod erretten konnte, und er ist erhört worden, weil er es aus Ehrfurcht vor Gott tat. Obwohl er Sohn war, lernte er an dem, was er litt, den Gehorsam. Dadurch wurde er zur Vollendung gebracht und ist zum Urheber ewigen Heils geworden für alle, die ihm gehorsam sind.

Gott hört. Gott hört die Klage seines Volkes in Leid und Unterdrückung in Ägypten. „der Herr hört mein Weinen“, spricht der Beter im Psalm (Ps 6,9). Gott hört das Seufzen der unerlösten Schöpfung. Gott hört uns, selbst, wenn wir nicht wissen, wie wir beten können. Gott hört.

Aber was so selbstverständlich klingt, ist oft zutiefst fraglich. Hört Gott? Wie viele Gebete in und an Krankenbetten bleiben ohne Antwort. Wie viel Leid und Verzweiflung in der Welt bleibt unbemerkt. Von Gott und der Welt verlassen müssen sich die Menschen an der Grenze nach Mazedonien fühlen. Wie kann das sein? Hört Gott? Immer wieder die Frage, ja, die Anklage: „Höre mein Gebet, Herr, und vernimm mein Schreien! Schweige nicht zu meinen Tränen!“ (Ps 39,13) „Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht, und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.“ (Ps 22,3) „Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser. Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muss auf meinen Gott.“ (Ps 69,4)

Hört Gott? Manchmal ist kein Zeichen da, nicht die leiseste Antwort. Das Entsetzen ist groß, verlassen zu sein, vergessen, gleichgültig. Das Schlimmste wäre ein tauber Gott, kalt und beziehungslos. Es klingt in manchen der Psalmen, als wollten die Beter Gott verzweifelt wachrütteln und zu einer Antwort zwingen. Keineswegs sind wir immer gewiss, dass Gott uns hört. Menschen im Leid haben das Gefühl, dass Leere sie umgibt, Gleichgültigkeit, Nichts. Die Beter der Psalmen bedrängen Gott. Sie beten dennoch weiter. Sie schreien ihm noch ihr letztes verzweifeltes Warum ins Ohr. Sie sagen Gott, dass sie an ihm leiden, mit ihm nicht fertig werden, von ihm enttäuscht sind. Ihr Glaube ist zerrieben in schlimmen Erfahrungen. Aber sie warten trotz allem auf Antwort. Sie sind wie der Vater des kranken Kindes: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Oder wie Jakob, der mit Gott wie mit einer unheimlichen Macht kämpfen muss: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“

Unser Predigttext zeigt uns Jesus in einem solchen Ringen mit Gott. Jesus weint. Wir denken an sein Gebet am Abend vor seinem Tod. Da ist er nicht souverän und gelassen. Jesus hat Angst. Er sucht den Beistand seiner Freunde und steht allein da. Er fleht, er bittet, dass der Kelch des Leides an ihm vorübergehe. Immer wieder betet er und wird in diesem Fall nicht erhört.

Wir meinen, irgendwann müsste Gott doch tun, was wir uns wünschen. Er muss doch unser Leid wenden, wenn wir ihn so inständig anflehen. Gott ist doch gnädig – er muss doch! Nein. Jesu Bitte um Verschonung vor dem Leid bleibt unerhört.

Mancher meint: „Nun bin ich von Gott enttäuscht. Ich glaub nicht mehr an ihn. Er hat mir ja nicht geholfen, obwohl ich so sehr gebetet hab.“

Hören Sie eines der „Gebete an unerträglichen Tagen“, geschrieben von der Theologin und Therapeutin Antje Naegeli: „Voller Entsetzen ist mein Herz angesichts der endlosen Schrecken, die du zulässt im Leben des Menschen, den ich liebe. Völlig hilflos zu sein vor so viel auswegloser Not bringt mich der Verzweiflung mehr als nahe. Ich bin wie gelähmt. Wo bist du, Gott? Warum lieferst du ihn so unermesslichem Leid aus? Du bist ein Gott, vor dem ich mich fürchte. Und doch kann ich vor dir nur zu dir flüchten. Bettlerin möchte ich sein vor dir, rufen und schreien, schreien und rufen, bis du dich erbarmst.“

Jesus flüchtet vor Gott zu Gott. Er hört nicht auf zu rufen. Er schreit: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Gott ist fern. Jesus ist gottverlassen. Und doch ruft er zu Gott. Jesus kennt unsere Angst. Er kennt alle Tiefen des Leides. In allem, was uns bedrängt, können wir auf ihn sehen, wissen wir: er versteht. Auf unseren Leidenswegen geht er mit uns.

Dennoch hört Gott. Unser Predigttext spricht von Ostern, wenn er sagt: Gott hat Jesus erhört. Über unser Bitten und Verstehen hört Gott. Gott hört. Das sehen wir an Jesus. Das feiern wir an Ostern. Er beantwortet die Tränen, den Schrei, auch wenn Jesus den Kelch des Leids bis zum Ende trinken muss.

Jesus „lernte an dem, was er litt, den Gehorsam.“ Wir stellen uns Jesus oft als Lehrer vor. Er lernt auch. Er geht durch eine harte Schule des Leidens. Pädagogen sagen, wir lernen am besten in dem, was uns Freude macht. Aber wir wissen: Auch in Krisen und Leidenszeiten lernen wir. Das Leid zeichnet Spuren in unser Leben. Jesus lernt den Gehorsam. Er lernt hören, hören auf Gott, obwohl er Gottes Sohn ist. Er lernt auf seinem schweren Weg in der Kraft Gottes zu gehen. Er lernt: Gott gibt mir die Kraft, wenn es sein soll, was auch geschieht. Nie wendet Jesus sich ab und sucht eigene Wege. „Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst. Dein Wille, Gott, geschehe. Hilf mir doch, ihn zu sehen. Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Jesus wehrt sich gegen das Leid und nimmt es doch an. Er weicht nicht aus. Er lässt sich ein auf das, was er noch nicht versteht.

Jesus lernt hören und Gott erhört ihn. Ein glückliches erlösendes gegenseitiges Hören. Gott hört auf Jesus. Jesus hört auf Gott. So kommt auch unsere Klage zu Gott. So sammelt Gott unsere Tränen in seinen Krug, wie es einmal wunderschön heißt.

Kein Wort verhallt ungehört. Kein Mensch wird überhört und übersehen. Kein Leid eines Menschen ist ein unbedeutender Kollateralschaden im großen Spiel. So gleichgültig geht die Welt am Leid einzelner Menschen vorbei. Fast unberührt hören wir die Zahlen der Opfer von Krieg, Gewalt und Unheil. Aber Gott bleibt nicht unberührt. Gott hört und Gott leidet mit jeder und jedem von ihnen.

Für alle, die auf Jesus hören, erschließt sich ewiges Heil, so heißt es dann. Gott hört uns, und nun sollen wir hören. „Ihr seid schwerhörig!“ beklagt sich der Briefschreiber zwei Verse später. Wir sind oft wie taub für den Ruf unserer Mitmenschen und damit für Gott. Wir wollen nicht hören, wir stellen uns taub. Wenn es heute, am Tag der Wahl, eine politische Botschaft aus dem Predigttext zu sagen gibt, dann wohl, dass wir uns nicht taub stellen können und dass wir keinem vertrauen dürfen, der gleichgültig über das Leid anderer hinweggeht oder gar zu Hass und Gewalt aufruft. Menschen in Not klopfen an unsere Tür und wir dürfen nicht unsere Ohren, Augen und Herzen zumachen, so als gingen sie uns nicht an. Wir wissen noch lange nicht, wie wir ihnen gerecht werden können, aber wir sollen es versuchen.

Gott sei Dank: Gott hört. Keine und keiner ist ihm gleichgültig. Lernen wir zu hören, aufmerksam für unsere Mitmenschen und für Gott.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen