Eine Bewegung, Predigt über Lk 3,1-16

Predigt am 11.12.16 von Andreas Hansen über Lk3,1-16

Es gibt Computerprogramme, die einem die Erde  aus der Perspektive von Satelliten zeigen. Auf einen Blick überschaut man Länder und ganze Kontinente. Gleichzeitig kann man sich schnell heranzoomen, einen kleinen Ausschnitt ganz nah heranholen. Man kann jede Einzelheit erkennen, kleinste Pfade und einzelne Bäume.
Der Evangelist Lukas macht etwas Ähnliches. Er nimmt die ganze damals bekannte Welt in den Blick. Er schaut auf das Zentrum der Weltmacht Rom, den Kaiser Tiberius. Dann zeigt er auf die Herrscher der Provinzen und auf die reli-giösen Autoritäten in Jerusalem. Aber schließlich landet Lukas weitab von den Zentren der Macht an einem Ort in der Wüste und am Jordan. Dort lebt Johannes, der Täufer. Er ist von Gottes Geist erfüllt. Seine Worte locken Scharen von Menschen in die Wüste. Johannes predigt Buße, Umkehr, Neuanfang. Es ist erstaunlich, dass er damit solchen Erfolg hat. Alles, was Gott nicht entspricht, verurteilt er radikal. „Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt …“ Johannes geht an die Wurzel, die „radix“. 
Seine kompromisslose Haltung überzeugt die Menschen. Charmant ist er nicht gerade. Er beschimpft seine Zuhörer als Schlangenbrut und hält ihnen schonungslos ihre Bosheiten vor. Er hält auch vor den Mächtigen seiner Zeit nicht den Mund. Die dulden natürlich keine Kritik.  Herodes Antipas, der Statthalter von Roms Gnaden, wird Johannes schließlich umbringen lassen. Er fürchtet einen Aufstand, Revolution. In Scharen kommen die Leute zu Johannes. Er löst eine Bewegung aus.

Als Donald Trump gefragt wurde, wie er sich seinen Wahlerfolg und das schlechte Abschneiden von Hillary Clinton erkläre, meinte er: „Der Unterschied ist die Begeisterung. Ich konnte die Leute begeistern.“ Er hat Leute in Bewegung gebracht. Und viele, die hinterher entsetzt über das Ergebnis waren, sind einfach nicht zur Wahl gegangen. Ähnlich lief es wohl mit dem Brexit-Votum in Großbritannien. Eine große Zahl von EU-Befürwortern blieb zuhause und jetzt jammern sie über das Ergebnis.
Vor einem Jahr war ich begeistert über die Bewegung in unserem Land. So viele haben sich engagiert für die Flüchtlinge! Sie haben Zeit und Kraft und Liebe eingesetzt, damit den Menschen in Not geholfen wird und eine menschliche, freundliche Kultur unser Land prägt – viele engagieren sich noch immer.
Andere Bewegungen machen mir Angst: ein neuer Nationalismus in vielen Ländern, aggres-sive Stimmung gegen die Fremden, gegen die Politik, gegen die Medien, gegen Europa. Sie sagen, wogegen sie sind, aber nicht wofür. Die Kultfiguren dieser Bewegungen pöbeln laut wie Donald Trump oder leise wie der Herr Hofer, um die Menschen hinter sich zu scharen. Sie behaupten, sie vertreten die Meinung des Volkes. Aber was das Volk meint und will, bestimmen alle – wenn wir uns denn alle aufmachen, es zu sagen.

Johannes bewegt die Menschen. Er selbst ist zu allem bereit, ein Radikaler. Und er hat ein Ziel, eine Vision. Das zieht die Leute an. Das ist eine Antwort auf ihre Sehnsucht: „Die ganze Welt soll das Heil sehen, das von Gott kommt. Eine neue Zeit steht unmittelbar bevor. Gottes Herrschaft ist nah. Der Messias kommt. Er bringt Freiheit. Er schafft Gerechtigkeit.“
„Was sollen wir denn tun?“ fragen die Leute. Johannes gibt ihnen zwei Antworten.
Die eine Antwort lenkt den Blick auf das Ganze, sozusagen die globale Sicht: „Kehrt um! Fangt neu an! Lasst euch taufen!  – das bedeutet nichts anderes als: Vertraut darauf, dass Gott die Welt regiert! Gott hat Gutes mit euch vor – vertraut auf ihn!“
Für die zweite Antwort sieht Johannes jede und jeden ganz genau an. Konkrete Schritte der Umkehr verlangt er. Alle sollen wir umdenken. Umkehr – da steht Metanoia im Griechischen, eine neue Ausrichtung des Denkens und Wollens.
„Ich kann doch nichts tun“ meinen wir. Wer zwei Hemden hat, ist kein Krösus. Andere könnten doch viel leichter etwas abgeben. Und trotzdem: Alle sollen teilen.
Die Zöllner und die Soldaten üben im Auftrag Roms staatliche Macht aus. Wenn sie nicht nebenbei in die eigene Tasche wirtschaften, haben sie keine Chance zu etwas zu kommen. „Das macht doch jeder. Man ist doch nicht blöd!“ meinen wir, und trotzdem ist es Unrecht.
Kleine erste Schritte sollen wir wagen: Einen Blick für andere, weg von mir, auf den, der Hilfe braucht. Verzichten auf einen Vorteil, den ich mir verschaffen kann.
Johannes predigt hart vom Bösen, das unsere Welt vergiftet, vom Bösen, das so viel Unheil bringt. Es hat tausenderlei Gestalt: Habgier, Gewalt, üble Nachrede, Lüge, Missbrauch von Macht, Missachtung von Menschen usw.
Wir wissen in der Regel, was wir anrichten oder anderen zufügen. Aber wir sehen weg.
Wir wollen nicht wissen, dass unserer hoher Energieverbrauch zum Klimawandel beiträgt.
Wir wollen nicht sehen, unter welchen Bedingungen unsere Kleider in Bangladesh hergestellt werden.
Wir sehen nicht, dass wir beim Mobbing eines Kollegen mitgemacht haben oder dass wir im Streit gemein und verletzend waren. +Johannes ist so hart, denn Gott ist zornig über das Böse, darüber, dass Menschen einander rücksichtslos und gemein Leid zufügen.
Wir sind ihm aber nicht gleichgültig. Gott liebt nicht alles, was wir tun, aber uns hat er lieb.
Es genügt nicht zu sagen: „Wir sind doch Abrahams Kinder“ oder „Wir sind in der Kirche und zahlen unsere Steuer“.
Johannes brennt vor Erwartung und Hoffnung.
Einer wie er wäre nicht einig mit einer gut eingerichteten Kirche, die funktioniert und selbstgenügsam ist. Wir wären ihm wohl zu ruhig, zu wenig begeistert und bewegt.
„Wer hat euch denn so gewiss gemacht? Wie könnt ihr so ruhig sein? Erwartet ihr nichts von Gott?“

Ich frage: „Was hast du vor, Gott, mit deiner Kirche, mit deiner Welt, mit mir? Wie können wir und wie kann ich dir einen Weg bahnen? Einen Weg zu meinem Herzen? Durch alles hindurch, was dir im Weg steht?“
Johannes bewegt die Menschen. Aber er ist ganz anders als die selbstverliebten Macht-geilen Menschenfänger unserer Tage. Er weist weg von sich selbst und auf Jesus hin. „Ich taufe euch mit Wasser. Aber es kommt einer, der stärker ist als ich; ich bin es nicht einmal wert, ihm die Riemen seiner Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Eine neue Zeit kommt. Gott ist nah. Er wird unsere Herzen bewegen.“

Gott braucht keine Satellitenkamera, kein Google-Earth.
Er sieht das Ganze und jede, jeden einzelnen von uns.
Liebevoll sieht er seine Schöpfung an.
Liebevoll sieht er auf uns, seine Kinder.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen