Predigt am 5.3.17 von Andreas Hansen über 1.Mose 3,1-21
Invokavit - erster Sonntag der Passionszeit
Text: 1.Mose 3,1-21
„Du hast angefangen – nein, du“. Wie die kleinen Ungeheuer aus dem Kinderbuch schieben wir einander die Schuld zu. Schon als Kinder im Sandkasten haben wir es so gemacht. Das ist fast ein Reflex. Geschwister, Kollegen, Ehepartner drehen einander beleidigt den Rücken zu. Wir schreiben in Gedanken das Schuldregister des anderen. Wir rechtfertigen unseren Groll gegen ihn und wehren uns gegen Vorwürfe. Oder wir schimpfen laut über die anderen und bezichtigen sie der Schuld.
Bis zur Lächerlichkeit sind wir blind für unsere eigenen Fehler. Wir fangen im Sandkasten an und sind selbst in politischen Beziehungen nicht besser. Die Türkei bekämpft die freie Presse und dann empören sich türkische Politiker über uns und berufen sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung, weil ihre Propaganda für ein diktatorisches System bei uns nicht willkommen ist.
„Wer ist schuld?“ – die Frage führt meistens nicht weiter, sondern blockiert. Kommt es zum Streit oder werden wir angegriffen, dann sind wir ganz schnell wieder wie die kleinen Kinder: „du bist schuld“, „du hast angefangen“, „ich war´s nicht“, „du bist auch nicht besser“.
So sind wir.
So sind wir Menschen schon immer.
Unser Predigttext, 1.Mose, Genesis 3, gehört eigentlich zusammen mit dem zweiten Kapitel über die Erschaffung des Menschen. Gott formt den Menschen aus Erde und haucht ihm Leben ein. Er gibt ihm mitten in der feindlichen Wüste einen fruchtbaren Garten. Er gibt ihm sinnvolle Arbeit. Er schenkt ihm die Gemeinschaft mit dem Menschen, der zu ihm gehört, seiner Frau. Sie ist sein Gegenüber, in dem er sich selbst erkennt, durch den er erst ein ganzer Mensch wird. So sehr kümmert sich Gott um den Menschen und geht auf ihn ein.
Gott gibt dem Menschen auch Freiheit, dass er sich für ein Leben in Gottes Sinn entscheide. Gott gibt ihm eine Ordnung, ein gutes Gebot. Der Mensch soll antworten auf Gott, er soll ver-antwortlich sein.
Die Autoren der Bibel spielen mit dem alten Mythos. Sie verwenden die alten Geschichten, aber es geht ihnen nicht um das, was vor langer Zeit war, sondern um heute. Mit einem Augenzwinkern erzählen sie von Gott, der im Abendwind im Garten spazieren geht. Jeder lacht über so einen Onkelchen-Gott, vor dem Adam und Eva sich im Gebüsch verstecken. Können die Menschen etwa Verstecken spielen mit Gott? Nein, sie verstecken sich voreinander und am meisten vor sich selbst. „Du hast angefangen. Nein du, ich kann nichts dafür.“
Aber Gott fragt nach uns: „Wo bist du, Adam?“
Natürlich kennt Gott uns und durchschaut das Spiel: „Wo bist du, Mensch? Komm aus deinem Versteck! Steh zu dem, was du tust! Frei bist du geschaffen. Du sollst entscheiden. Du darfst auch Fehler machen. Aber die Folgen musst du tragen, mit der Schuld musst du leben. Versteck dich nicht!“
Adam will sich selbst dann noch drücken, als Gott seinen Fehler offensichtlich schon ent-deckt hat: „die Frau gab mir zu essen, die Frau, die du mir zugesellt hast“ – er macht indirekt Gott verantwortlich. „Du hast mir schließlich die Frau gegeben. Ohne die wäre alles gut.“
Wie verlogen und wie feige ist der Mensch!
Da betrügt ein französischer Präsidentschafts-kandidat den Staat um Hunderttausende und will einfach weiter machen, als sei nichts geschehen. Wir reden uns heraus. Wir schummeln uns durch.
„Ein Fahrverbot für alte Dieselautos? Aber das kann doch nicht für mich gelten.“
„Dass jemand für uns schwarz arbeitet – ach, das ist doch nicht so wild, das machen doch alle.“ Wir zeigen mit dem Finger auf das Fehlverhalten der anderen, zB der Politiker, und haben für uns selbst immer eine Entschuldigung parat.
Der liebe Gott sagt schon nichts – meinen wir.
Aber das wäre eine falsche Liebe, die gleich-gültig alles geschehen lässt und keine Grenzen zeigt. Gott fragt nach uns: „Wo bist du? Was machst du?“ Er lässt uns entscheiden, aber es ist ihm nicht gleichgültig was wir machen, ob wir anderen wehtun, oder ob wir Unrecht tun.
Adam und Eva bedecken ihre Blöße mit Feigenblättern. Sie verstecken sich, weil sie nackt sind. Ihre Scham bezieht sich nicht auf das Nacktsein oder die Sexualität. Ich meine, sie schämen sich, weil sie ihren Fehler, ihre Schuld nicht mehr verstecken können. Sie sind durchschaut – sie durchschauen auch sich selbst – darum schämen sie sich.
Adam und Eva sind der Mensch wie er und wie sie schon immer war, wie wir sind. Gott hat den Menschen frei geschaffen. Wir müssen uns entscheiden. Damit können wir uns auch zum Schlechten entscheiden, auch gegen Gott.
Der Ursprung des Bösen liegt darin, dass der Mensch sein will wie Gott. Er will niemand anderes zum Maßstab haben als sich selbst. Er will machen, was er will. Seine Ziele, seine Bedürfnisse setzt er durch. Enge Verwandte des Bösen sind die Gier und der Größenwahn.
Eine Schlange ist gar nicht nötig. Sie spricht nur ganz unverschämt aus, was Eva und Adam ohnehin schon dunkel fühlen. Wir selbst sind es, die ganz elementar Gott widersprechen und uns gar zu Richtern über Gott machen. Wir wollen keine Grenzen akzeptieren. Wir verwechseln Freiheit mit Unverbindlichkeit. Wir dürfen uns entscheiden, aber wir müssen Verantwortung für unsere Entscheidung tragen.
Was Adam und Eva tun, verändert die Welt.
Wir entscheiden, ob das Leben unter allen Umständen zu schützen ist, oder ob ein unheilbar kranker, schwer leidender Mensch sein Leben beenden darf. Es kann jeden von uns treffen, dass wir über Leben entscheiden müssen.
Wir entscheiden, ob wir weiter auf grenzenloses Wachstum setzen oder uns ändern. Jeder von uns hat mit seinem Verhalten Anteil an der Entscheidung.
Gott bewahrt uns nicht vor den Folgen unseres Handelns. In unseren Beziehungen erleben wir das ganz direkt: Die Ehe steckt bald in der Krise, wenn ein Partner rücksichtslos macht, was er will. Die Freundschaft ist bald vorbei, wenn ich mich auf den anderen nicht verlassen kann.
„Adam, wo bist du?“ Gott will, dass wir gleichsam erwachsen werden, verantwortlich, bereit auch unsere Schuld zu sehen. Er fragt uns: „Wo bist du, Mensch? Lebst du verantwortlich vor mir, verantwortlich mit deinen Mitmenschen, verantwortlich mit den Gaben, die dir anvertraut sind?“
Da stehen Adam und Eva und schämen sich. Gott zeigt ihnen die Folgen ihrer Entscheidung und schickt sie aus dem Garten fort. Sie haben sich gegen ihn entschieden.
Aber Gott sorgt dennoch für seine Menschen. Er schützt er sie und gibt ihnen Kleidung. Das ist ein wunderschönes Zeichen: Der schuldbeladene, sich schämende Mensch darf sich aufrichten. Gott schützt ihn dennoch. Er wird wieder und wieder nach ihnen fragen. Gott wird seinem Volk immer wieder einen Neuanfang schenken: Gott ist bereit zu vergeben. Gott fragt nach uns.
Gott erträgt uns.
Gott sehnt sich nach uns, dass wir bereit sind zu antworten. Amen