Die Wahrheit muss gesagt werden – Predigt über Ez 2,1-3,3

Predigt am 16.2.20 von Andreas Hansen über Ez 2,1-3,3

Er hat sich sein Leben anders vorgestellt. Ezechiel ist Priester wie sein Vater. Der Tempel ist sein Ort. Aber jetzt ist er weit weg von Jerusalem. Er ist am Fluss Kebar, in Babylonien, in der Fremde zusammen mit den Verbannten. Das geschieht im Jahr 593 vor Christus. Wenige Jahre später wird der Tempel zerstört.
Ezechiel will Priester sein. Er will seinen Mitmenschen zu Gott helfen, ein Mittler sein zwischen Gott und ihnen. Aber jetzt überfällt ihn eine Vision:   Der Himmel öffnet sich. Er sieht Gottes Herrlichkeit und ist überwältigt. „Gottes Wort ergeht an ihn.“ heißt es immer wieder in seinem Buch. Gottes Wort bricht in sein Leben ein. Jetzt ist er Gottes Prophet.
Hören wir im Predigttext, wie Gott Ezechiel beauftragt:

Und er sprach zu mir: Du Mensch, stelle dich auf deine Füße, und ich will zu dir sprechen!  Und sobald er zu mir sprach, kam Geist in mich und stellte mich auf meine Füße, und ich hörte den, der zu mir sprach. Und er sprach zu mir: Mensch, ich sende dich zu den Israeliten, zu Nationen, die sich auflehnen, die sich aufgelehnt haben gegen mich. Sie und ihre Vorfahren haben mit mir gebrochen, so ist es bis auf diesen heutigen Tag. Und zu den Nachkommen mit verhärteten Gesichtern und hartem Herzen, zu ihnen sende ich dich, und du wirst ihnen sagen: So spricht Gott der HERR!  Und sie – mögen sie hören oder es lassen, denn sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit! -, sie sollen wissen, dass ein Prophet unter ihnen gewesen ist. Und du, Mensch, fürchte dich nicht vor ihnen und vor ihren Worten. Fürchte dich nicht, auch wenn sie dir widersprechen und Dornen für dich sind und du auf Skorpionen sitzt. Vor ihren Worten fürchte dich nicht, und vor ihren Gesichtern hab keine Angst! Sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit! Und du wirst ihnen meine Worte sagen, mögen sie hören oder es lassen! Sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit! Du aber, Mensch, höre, was ich zu dir rede. Sei nicht widerspenstig wie das Haus der Widerspenstigkeit, öffne deinen Mund, und iss, was ich dir gebe. Und ich sah, und sieh: Zu mir hin war eine Hand ausgestreckt, und sieh, in ihr war eine Schriftrolle.  Und er breitete sie vor mir aus, und sie war auf der Vorderseite und auf der Rückseite beschrieben, und auf ihr aufgeschrieben waren Klagen und Seufzer und Wehrufe. Und er sprach zu mir: Du Mensch, iss, was du vorfindest, iss diese Schriftrolle, und geh, sprich zum Haus Israel! Und ich öffnete meinen Mund, und er ließ mich jene Rolle essen. Und er sprach zu mir: Mensch, gib deinem Bauch zu essen und fülle dein Inneres mit dieser Schriftrolle, die ich dir gebe! Da aß ich sie, und in meinem Mund wurde sie wie Honig, süß.

Sie sollen wissen, dass ein Prophet unter ihnen gewesen ist. Sie sind widerspenstig. Verhärtete Gesichter, harte Herzen. Antworten, wie Dornen und Skorpione. Sie und ihre Vorfahren haben mit Gott gebrochen und sich abgewandt von ihm. Dennoch: „Ob sie hören oder nicht, sag ihnen Gottes Wort!“  Das wird ein harter Weg für Ezechiel. „Gott macht stark“, “Gott möge stark machen” heißt sein Name –    er kann es brauchen, dass Gott ihn stark macht. „Fürchte dich nicht, Ezechiel! Fürchte dich nicht, wenn sie dir widersprechen! Hab keine Angst vor ihren harten Gesichtern und verstockten Herzen! Fürchte dich nicht vor ihren Worten! Sag ihnen meine Worte!“
Gottes Worte gegen unseren Widerspruch.  Gottes Worte  trotz unserer harten Herzen. Gott sagt sein Wort, damals zu seinem Volk, und heute ebenfalls zu Menschen, deren Worte zum Fürchten sind. Auch zu uns spricht Gott durch seinen Propheten.
Worte können viel bewegen.
Ein Ja kann glücklich machen.
Ein abschätziges Urteil kann vernichten.
Ein Gerücht kann Menschen ins Unglück stürzen.
Eine Stimme in einer Wahl kann entscheiden. Was wir einmal gesagt haben, bleibt in der Welt. Der Stachel einer gemeinen Bemerkung bleibt. Das Ergebnis einer Wahl kann nicht einfach rückgängig gemacht werden.
Es ist so hässlich, was für Worte wir Menschen einander an den Kopf werfen. Wir erleben eine Verrohung der Sprache. Beleidigungen, Hassmails, Shitstorms müssen viele Personen des öffentlichen Lebens ertragen. Es gehört zum Konzept rechtsextremer Kreise: dass sie Tabus brechen, sagen, was andere verletzt, Menschen verachtende Sprache. „Das wird man doch noch sagen dürfen.“ So versuchen sie ihre Haltung hoffähig zu machen.
Worte können viel bewegen.
Sie wecken Vertrauen oder zerstören es, sie richten auf oder entmutigen, sie heilen oder richten Schaden an.
Viele setzen Worte wie Waffen ein, beleidigende Tweets, Drohungen, rufschädigende Lügen – etwas bleibt ja immer hängen. Und viele glauben dem Gerede und lassen sich aufhetzen.
Wir machen es genauso, wenn wir Gerüchte streuen, Intrigen anheizen und andere schlecht machen, wenn wir über die anderen reden, statt mit ihnen, wenn wir unser Urteil längst gefällt haben und darum gar nicht mehr zuhören wollen.

Gott klagt: sein Volk  wendet sich von ihm ab – sie sind ein Haus der Widerspenstigkeit – sie wollen nicht hören. Enttäuscht und traurig ist Gott über sein Volk.
Warum muss Ezechiel diesen üblen Job machen, wenn Gott doch schon überzeugt ist, dass sie nicht hören? Warum muss er Prophet sein für das Haus der Widerspenstigkeit?
Weil die Wahrheit trotz allem gesagt werden muss. Weil Gott nicht resigniert und immer noch und vielleicht umso mehr an diesem widerspenstigen Volk hängt. Ezechiel darf nicht schweigen. Gottes Wort muss er sich einverleiben und er muss es sagen. Klagen, Seufzer, Weherufe – wer mag so eine Botschaft schlucken? Wer mag sich unbeliebt machen mit solchen Worten von Gott?
Die Wahrheit muss gesagt werden.
Sie bleibt wahr, auch wenn sie nicht gehört wird.
Sie wird sich als wahr erweisen, selbst wenn erst Spätere das erkennen.
Die Wahrheit muss gesagt werden.
Das Verfahren gegen Trump hatte keine Chance im Kongress und doch musste es sein.
Die Friday-for-Future-Demonstranten sind von ihrer Wirkung enttäuscht und doch ist wichtig, was sie machen.

Sind wir das Haus der Widerspenstigkeit? Sollen wir uns angesprochen fühlen? Haben wir harte Gesichter? Verstockte Herzen wie der Pharao? Das kann schon sein. Wir wenden uns ab von Gott, wenn wir unseren Mitmenschen verachten und benutzen und verletzen. Wir sind kaum bereit uns selbst kritisch zu sehen, uns zu ändern. Unsere verletzenden Worte treffen Gott.

Wir sind zum Glück nicht Ezechiel, aber getrauen wir uns unbequeme Wahrheiten zu sagen!
„Gott macht stark“ heißt sein Name. Er darf es erfahren, wie Gott ihm die Furcht nimmt. Ezechiel wird ihnen die Wahrheit in ihre harten Gesichter sagen – kein angenehmer Job. Die Wahrheit ist bitter, und wird für ihn doch süß wie Honig, denn es ist Gottes Wort, das er sich einverleiben und dann sagen muss. Später, viel später, wird Ezechiel auch von der neuen Chance reden, die Gott schenkt.

Die Wahrheit muss gesagt werden.
Gott sei Dank: Gott sagt uns sein Wort.
„Fürchte dich nicht, Ezechiel! Fürchte dich nicht, wenn sie dir widersprechen! Hab keine Angst vor ihren harten Gesichtern und verstockten Herzen! Fürchte dich nicht vor ihren Worten! Sag ihnen meine Worte!“
Amen