das Gegenteil von gleichgültig – Predigt über Lk 15,1-7

Predigt am 14.7.19 von Andreas Hansen über Lk 15,1-7

Lukas 15,1-7

Jesus war ständig umgeben von Zolleinnehmern und anderen Leuten, die als Sünder galten; sie wollten ihn alle hören. Die Pharisäer und die Schriftgelehrten waren darüber empört. »Dieser Mensch gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen!«, sagten sie.
Da erzählte ihnen Jesus folgendes Gleichnis: 
»Angenommen, einer von euch hat hundert Schafe, und eins davon geht ihm verloren. Lässt er da nicht die neunundneunzig in der Steppe zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voller Freude auf seine Schultern und trägt es nach Hause. Dann ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: ›Freut euch mit mir! Ich habe das Schaf wieder gefunden, das mir verloren gegangen war.‹
Ich sage euch: Genauso wird im Himmel mehr Freude sein über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren.«

„Moment mal, Jesus, mit deiner Geschichte stimmt etwas nicht.“ Nathan schüttelt den Kopf. „Neunundneunzig Gerechte und ein Sündern – so ist das doch niemals!“
Jesus lächelt ihn an: „Du meinst, es sind weniger Gerechte, die es nicht nötig haben umzukehren?“ Nathan nickt. „Wieviel meinst du, sind gerecht? Achtzig? Die Hälfte? Oder nur ganz wenige? Und du, Nathan, rechnest du dich zu den Gerechten, die es nicht nötig haben umzukehren?“        Nathan wird rot.     Darum bemüht er sich doch, gerecht zu sein. Von ganzem Herzen will er Gottes Gebote halten. Er will kein Sünder sein.   Er will rein sein. Von diesem Gesindel, mit dem Jesus verkehrt, hält er sich fern. Aber ist er gerecht?
Jesus lächelt ihn immer noch freundlich an. Er sieht, wie es in Nathan arbeitet. Dann erzählt Jesus noch eine Geschichte vom Verlieren und der Freude zu finden. Und noch eine dritte Geschichte, die berühmteste, von dem jungen Mann, der seine Eltern verlässt und das halbe Familienvermögen verschwendet und buchstäblich im Dreck endet. Aber dann kehrt er um und kommt zurück. Sein Vater ist voll Freude und Glück, dass er seinen Sohn wieder hat. Er macht ein großes Fest. Der ältere Bruder aber will nicht mitfeiern. Er gönnt dem Taugenichts das Fest nicht. Und er versteht den Vater nicht. Da kommt der Vater zu ihm und lädt ihn ein: „Komm, freu dich mit mir!“
Nathan hört aufmerksam zu. Jesus sieht ihn an: „Komm, freu dich mit mir, Nathan! Freu dich mit Gott und den Engeln, wenn ein verlorener Mensch sich finden lässt! Freu dich wie der Hirte über sein Schaf, wenn die Zöllner und Sünder mich hören wollen!“
Ich weiß nicht, ob Nathan oder die anderen Pharisäer sich von Jesus überzeugen lassen. Aber ich bin sicher, Jesus versucht es immer weiter. Jesus sucht auch die, deren Herz hart und gleichgültig ist, die andere Menschen einfach so verloren geben, die sich selbst für gerecht halten. Jesus sucht auch uns. Hören wir noch einmal genau hin!

Eine liebe Geschichte erzählt Jesus. Ein Schaf geht verloren. Wir sehen die süßen, stolpernden Lämmer im Frühjahr vor uns. Wir hören ein Schäfchen kläglich jammern, auf Abwege geraten, im Dorngestrüpp verhakt, allein den Raubtieren ausgesetzt. Wir hören den guten Hirten rufen und sehen, wie er überall am Weg Ausschau hält, bis er es findet und auf seine Schultern hebt und jubelnd zuhause ankommt. Wie schön!
Auch wer gerne Lammfleisch genießt, ist gerührt. Unsere beste Seite hat Jesus getroffen, Mitleid, Engagement, unser Herz.
Aber Jesus erzählt nicht nur eine liebe, rührende Geschichte – zugleich klingen ganz andere  Erfahrungen an, die harte Wirklichkeit von Menschen, die verloren gehen und die verlieren.

Verloren ist der Jugendliche, der mit seinem Zeugnis nicht den ersehnten Beruf lernen kann und nun nicht weiß, wie es weitergeht.
Verloren: Menschen, die ihr Partner verlassen hat.
Verloren sind Menschen, die obdachlos werden – auch Familien mit Kindern trifft dieses Los.
Verlorene: Über 2200 Flüchtlinge sind 2018 im Mittelmeer ertrunken – und wie viele gingen in den Lagern unter?
Damals die Zöllner: sie haben sich bereichert auf Kosten der unterdrückten Bevölkerung – sie waren verloren in einem Unrechtssystem, Betrüger. Und bei den Sündern dachte man wohl an Prostituierte oder andere, mit denen sich kein ehrbarer Mensch an einen Tisch setzte. Schuldig oder unschuldig sind sie auf falsche Wege geraten und nun werden sie verachtet und gemieden.
Alle die Verlorenen sind Jesu Schäfchen. „Dieser Mensch gibt sich mit Sündern ab und isst sogar mit ihnen!“, so sagen sie. Jesus erzählt nicht einfach eine rührende, harmlose Geschichte.
Jesus erzählt gegen die furchtbare Gleichgültigkeit damals und heute. Jesus sagt, dass Gott keinen Menschen verloren gibt.
Wir sind so schnell mit einem anderen fertig: „Die passt mir nicht.“ „Der ist doch selbst schuld, dass es ihm so dreckig geht.“ „Mit so einem will ich nichts zu tun haben.“ Wir wollen nicht hinsehen. Wir grenzen uns ab. Wir schreiben Menschen ab. Uns erzählt Jesus seine Geschichte. Wir sind die selbstgerechten Pharisäer. Uns will Jesus mit dem verlorenen Lämmchen das Herz anrühren.
Ich erschrecke über mich und über uns. Ich erschrecke über die Gleichgültigkeit, die viele Menschen empfinden oder die sie selbst trifft.      Schrecklich ist das z.B., wenn ein Lehrer seinen Schüler verloren gibt, wenn der Schüler spüren muss: Dem Lehrer liegt gar nichts an mir. Schrecklich ist, dass wir uns abfinden mit der Not unserer Mitmenschen. „Da kann man halt nichts machen“, sagen wir. Vielleicht können wir nicht anders: wir blenden die meisten Konflikte unserer Zeit einfach aus und ignorieren die Not der Mitmenschen und auch die Not der Schöpfung.
Jesus ist das Gegenteil von gleichgültig.
Jesus sieht die verlorenen Menschen.  Er weiß um die gescheiterten, verzweifelten, verletzten Menschen. Jesus kennt auch die dunklen Stunden von uns, die Zeiten, in denen wir verloren sind, die Abgründe unserer Seele. Jesus geht zu den verlorenen Menschen und freut sich über jeden, der sich finden lässt.
Es gibt nicht einen, der nicht umkehren müsste. Es gibt nicht einen einzigen, der Gott nicht nötig hat. Und umgekehrt: Gott sehnt sich nach uns. Wir sind Gott lieb und kostbar. So kommt er in Jesus zu uns und sucht uns. Mehr als alles andere will Gott, dass wir ihn brauchen und uns von ihm finden lassen.
Gott sucht den Menschen. Die Freude im Himmel ist riesig, wenn ein verlorener Mensch entdeckt, wie sehr Gott nach ihm sucht, wenn wir umkehren, wenn wir uns finden lassen. Amen