Christvesper 2015, Predigt über Titus 2,11+12a

Predigt am 24.12. von Andreas Hansen über Titus 2,11+12a

Vor der Predigt hören wir das Weihnachtsevangelium und die Kantorei singt: wie soll ich dich empfangen? J.S.Bach, Weihnachtsoratorium

„Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.“ „Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ „Und sie kamen und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe liegen.“ Gleich dreimal erwähnt Lukas die Krippe. In einer Notunterkunft, einem Stall kommt Jesus zur Welt. Sein erstes Bett ist eine Futterkrippe. Armselig und niedrig. Maria und Josef müssen dem Befehl des Kaisers folgen. Die Besatzungsmacht zwingt sie, nach Bethlehem zu gehen. Was für eine Schinderei und Demütigung! Schon als Kind ist Jesus der Macht ausgeliefert.

Die Krippe ist sein Zeichen wie später das Kreuz. Kreuz und Krippe sind aus dem gleichen Holz. Darum lässt Bach „Wie soll ich dich empfangen?“ nach der Melodie der Passion „O Haupt voll Blut und Wunden“ singen. Jeder kennt damals die Geburtsgeschichte des Kaisers in Rom, die ihn als Kind der Götter feiert. Der Gegensatz könnte nicht größer sein. Das Kind in der Krippe ist Gottes Sohn und doch so niedrig. Die Hirten finden den Ort und erzählen, was über dieses Kind gesagt wurde. Aber dort im Stall ist kein himmlischer Glanz und kein Engelsgesang, nur ein Kind armer Leute in einer Futterkrippe. So kommt Gott zu uns.

„Des ewgen Vaters einig Kind, jetzt man in der Krippen findt; in unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut.“ Der ewige Gott wird ein sterblicher Mensch. Unser armes Fleisch und Blut nimmt er an, unsere Schwäche, unsere Schmerzen, unseren Tod. Alles will Gott mit uns teilen und tragen. Wer kann das verstehen? So sehr will Gott bei uns sein, für uns da sein. „Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein neuen Schein. Es leucht wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht.“

Liebe Gemeinde, liebe Kinder des Lichts, wir feiern Weihnachten. Viel haben wir vorbereitet, damit das Fest schön wird. Und doch strahlt so wenig vom Glanz in unseren Alltag hinüber. Gibt das Licht von Weihnachten unserem Leben einen neuen Schein? Hat es eine Chance, das Dunkel der Welt zu erhellen? Selbst heute, gerade heute bedrücken uns Unfrieden und Not, Traurigkeit und Angst. Wir sehnen uns danach, dass das Wunder, das Licht zu uns kommt. Wir möchten so gerne „weihnachtlich“ werden, hell, zuversichtlich. Kinder des Lichts – sind wir das?

Schon immer haben Christen so gefragt. Unser Predigttext steht in einem Brief im Neuen Testament. Da schreibt ein Schüler von Paulus an Titus, einen jungen Gemeindeleiter auf Kreta. Er beschreibt Weihnachten mit seinen Worten. Die Gnade Gottes ist erschienen, die allen Menschen Rettung bringt. Sie nimmt uns an die Hand, damit sie uns herauslöst aus der Gottesferne. (Titus 2,11+12a) Erschienen ist die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. Das ist in Bethlehem geschehen, im Stall. Uns ist ein Kind geschenkt, das Kind in der Krippe. Die Gnade Gottes ist ein Mensch. Sie hat Hand und Fuß. Noch sind es winzige Händchen und Füßchen, hilflos, schutzbedürftig, zerbrechlich. Es werden gute Hände sein, erfüllt von Kraft zu helfen und zu heilen, und Füße auf dem Weg zu den Verlorenen. Am Ende werden die Hände von Nägeln durchbohrt sein. Daran wird man ihn erkennen, wie im Wappen der Franziskaner über unserer Kirchentür. Weihnachten heißt: Gottes Gnade kommt zu uns.

„Es ist alles Gnade.“ sagt die Frau, die mir gegenüber sitzt. Sie ist sehr alt, klein und schwach. Sie versteht mich nur, wenn ich mich zu ihr beuge und sehr deutlich rede. Sie liest mit Hilfe einer starken Lampe und einer besonderen Lupe. Dreimal in der Woche muss sie zur Dialyse. Danach ist sie immer ganz kaputt. Sie sagt: „Es ist alles Gnade.“ und strahlt mich an. Ich staune und bin gerührt. „Und auch, dass ich es so nehmen kann, ist eine Gnade.“ Was für eine Kraft in einem Menschen am Ende seines Lebens! Sie fühlt sich reich, überreich beschenkt. Was sie in ihrem langen Leben tun konnte, wozu ihr Gott Kraft und Möglichkeiten gab, „es ist Gnade.“

Gottes Gnade ist erschienen. Mit offenen Armen kommt Gott auf uns zu. Die Gnade befreit und heilt. Die Gnade nimmt uns an die Hand. Sie zieht uns ins Leben, ins Licht. Die Gnade ist erschienen. Gott beschenkt uns. Das Beste gibt es nicht zu kaufen. Das Leben, die Liebe sind uns gegeben als kostbare Geschenke. Wir bekommen Begabungen, Kraft und Aufgaben geschenkt. Die Menschen, die wir lieben, sind uns anvertraut. Gott ist hier. Seine Gnade ist menschlich und nah. Überall erkennen wir sein Licht.

Aber ist diese Sicht der Dinge realistisch? Morgen oder in ein paar Tagen erleben wir wieder eine gnadenlose Welt. Da regieren Geld und Macht. Da erschrecken uns Kriege und Konflikte, Gewalt und Terror. Da ärgern wir uns über die Verbohrtheit und Unfähigkeit von anderen. Da bekommt schließlich keiner was geschenkt. Morgen oder in ein paar Tagen kommen wir wieder ganz gut ohne Gott aus. Weihnachten ist nur noch eine Sehnsucht, oder eine Enttäuschung – „schaffen wir das besser ab“, sagen gar nicht wenige. Machen wir uns also etwas vor? Ist Gnade nur ein schöner Traum?

Die Gnade Gottes ist erschienen, die allen Menschen Rettung bringt. Sie nimmt uns an die Hand, damit sie uns herauslöst aus der Gottesferne.

Zuerst: Gott lässt sich auf uns ein. So kommt seine Gnade in die Welt. Wir schauen auf ein Kind in der Krippe, auf einen Mann am Kreuz. Gott liefert sich der gnadenlosen Welt aus. Sehr real erleidet Jesus das Unrecht seiner Zeit. Er ist auf der Seite der Opfer von Terror und Gewalt. Gott ist bei uns in Schmerz und Schuld. Die Gnade trifft uns in unserer Gottesferne. Wir verlassen uns lieber auf uns selbst. Wir kommen ohne Gott aus. Wir sind fern von Gott. Aber Gott ist nicht fern von uns. Er überlässt uns nicht uns selbst.

Das Zweite: Gnade ist nicht nur ein Wort. Sie wirkt. Sie nimmt uns an die Hand. Luther übersetzt brutaler: „sie nimmt uns in Zucht“. Sie zieht und erzieht und lässt nicht locker. Gnade ist eine Kraft, eine mächtige Kraft. Sie lässt eine von den Mühen des Alters geplagte Frau strahlen. Sie hilft uns, treu in unseren Aufgaben zu bleiben. Sie gibt uns Geduld und Liebe füreinander. Und sie weckt Glauben. Die Gnade wirkt. Sie heilt und erzieht uns. Sie macht uns zu Kindern des Lichts. Sie öffnet uns den Blick und das Herz für Gott.

Und schließlich: Weihnachten ist ein Anfang. Mit offenen Armen kommt Gott auf uns zu. Und er bleibt bei uns. Jesus verspricht: Ich bin bei euch alle Tage. Erschienen ist die heilsame Gnade Gottes allen Menschen. Niemand ist ausgeschlossen. Die Gnade lächelt auch den Ungläubigen zu, den Andersgläubigen, den Kleingläubigen. Sie ist nicht angewiesen auf einen rechten Glauben. Sie will alle erreichen und wird alle erreichen.

Wir wissen nicht, was morgen oder in einem Jahr sein wird. Wir wissen nicht, wie uns die Konflikte der Welt treffen werden oder was uns persönlich herausfordern wird. Aber in allem, was kommt, wissen wir, wie Gott zu uns steht. Das Licht der Gnade ist erschienen für alle Menschen. Es hat uns an die Hand genommen und zu Kindern des Lichts gemacht. Amen