Christfest 2015, Predigt über Jesaja 11,1-9

Predigt am 25.12. in der KIrche und 26.12. im Kreisseniorenzentrum von Andreas Hansen über Jesaja 11,1-9

Vor der Predigt singen wir EG30: Es ist ein Ros entsprungen

Jesaja 11,1-9 (Zürcher Übersetzung)

Und aus dem Baumstumpf Isais wird ein Schössling hervorgehen, und ein Spross aus seinen Wurzeln wird Frucht tragen. Und auf ihm wird der Geist des HERRN ruhen, der Geist der Weisheit und der Einsicht, der Geist des Rates und der Kraft, der Geist des Wissens und der Furcht des HERRN. Und er wird die Furcht des HERRN atmen, und er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, und nicht entscheiden nach dem, was seine Ohren hören: Den Machtlosen wird er Recht verschaffen in Gerechtigkeit, und für die Elenden im Land wird er einstehen in Geradheit. Und mit dem Knüppel seines Mundes wird er das Land schlagen und mit dem Hauch seiner Lippen den Frevler töten. Und Gerechtigkeit wird der Schurz an seinen Hüften sein und Treue der Gurt um seine Lenden. Und der Wolf wird beim Lamm weilen, und die Raubkatze wird beim Zicklein liegen. Und Kalb, junger Löwe und Mastvieh sind beieinander, und ein junger Knabe leitet sie. Und Kuh und Bärin werden weiden, und ihre Jungen werden beieinander liegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. Und der Säugling wird sich vergnügen an der Höhle der Viper, und zur Höhle der Otter streckt ein Kleinkind die Hand aus. Nirgendwo wird man Böses oder Zerstörerisches tun auf meinem heiligen Berg, denn das Land ist voll von Erkenntnis des HERRN, wie von Wasser, das das Becken des Meeres füllt.

Hier geht´s nicht weiter. Am Nachmittag des 14. Mai, Christi Himmelfahrt, will ich oberhalb von Hecklingen durch den Wald nach Bombach fahren. Aber der Weg ist gesperrt. Ein Sturm hat am Abend zuvor gewütet, kurz, aber heftig. Und hier oben hat er eine Schneise in den Wald geschlagen. Das Bild der Verwüstung sehe ich am Tag darauf in der Zeitung. Riesige Buchen, die sogar den Lothar gut überstanden haben, liegen kreuz und quer. Der Wind hat die alten, starken Bäume von einer ungewöhnlichen Seite erwischt und umgeworfen. Chaos und Zerstörung. Der Weg bleibt monatelang gesperrt.

Das Bild ist zu sehen unter: http://www.badische-zeitung.de/kenzingen/rotierende-zelle-ringt-alte-buchen-nieder–104822509.html

Mächtig drängen die Assyrer damals von Norden heran. Ganze Völker haben sie ausgelöscht, geschluckt, einfach von der Landkarte ausradiert. Das kleine Israel ist seinem großen Nachbarn ausgeliefert. Der Nordteil ist schon erobert. Der Süden, Jerusalem und Juda, muss hohe Tribute zahlen. Jesaja beschreibt, wie die Assyrer Ort für Ort einnehmen und immer näher kommen. Eine ausweglose Situation. Wie kann es weitergehen?

2015 ist wahrhaftig ein stürmisches Jahr. Krieg im Osten der Ukraine. Griechenland in der Schuldenkrise. Zweimal Terror in Paris. Im Mittelmeer sterben Menschen auf der Flucht. Zehntausende Flüchtlinge kommen zu uns. Das vom Krieg geschüttelte Syrien rückt wieder stärker in unseren Blick. Der Wahnsinn des sogenannten Islamischen Staates. Europa in der Krise. Wir malen uns aus, welche Folgen die Konflikte haben können, und hoffen, wir bleiben verschont. Noch lange sind die Krisen nicht überwunden. Wir fragen uns bange, wie es weitergeht.

Vielleicht mussten oder müssen Sie persönlich Stürme aushalten, die Ihr Leben durcheinander werfen und den Weg versperren, wie die Bäume nach dem Sturm im Wald. Auch in diesem Jahr, auch nach Stürmen und in Ungewissheit, feiern wir Weihnachten.

Jesaja sieht einen Baumstumpf, den kläglichen Rest eines stolzen Baumes. Aber dann lässt ihn Gott mehr sehen. Aus dem Baumstumpf wächst ein Reis, ein Schössling. Wo alles verwüstet und chaotisch war, beginnt neues, heiles, gutes Leben. Gott lässt Neues entstehen. Er gibt seinen Geist auf seinen Gesandten. Der Geist schafft Klarheit, gibt Kraft, wirkt Gerechtigkeit und Frieden.

„Es ist ein Ros entsprungen“, „mit seinem hellen Scheine vertreibt´s die Finsternis.“ Unrecht und Gewalt haben keinen Platz mehr. Der Friede wirkt in die Schöpfung hinein. Keiner muss mehr Angst haben. Wolf und Bär, Löwe und Schlange sind nicht mehr gefährlich. Stellen Sie sich vor: Kein Schwacher muss den Starken fürchten. Keiner wird verachtet, bedroht oder fertig gemacht. Kein Kind bleibt allein. Kein Mensch muss fliehen. Keiner macht dem anderen den Platz streitig oder nimmt ihm etwas weg. Wunderbar! Paradiesisch! Aber, Jesaja, das ist ja zu schön, um wahr zu sein.

„Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Oft wird der Satz von Helmut Schmidt zitiert. Ich glaube, Schmidt war das gar nicht so recht. Er wusste, dass wir Ziele und Hoffnungen brauchen, eine Vorstellung des Guten. Gerechtigkeit, Wahrheit, Frieden, Freiheit, Ziele, für die wir uns einsetzen.

Jesaja macht sich nichts vor. Er sieht den abgerissenen Baum. Er sieht das Unrecht, das Chaos, die Gefahr. Gewalt plagt und beängstigt die Menschen. Ein Riss der Gewalt entstellt die ganze Schöpfung. Aber dabei bleibt es nicht. Jesaja sieht mehr, Gottes gutes Ziel für seine Geschöpfe, für uns. Ein neuer Spross aus der alten Wurzel. Was zerrissen und kaputt war, beginnt zu heilen. Wir Christen finden bei Jesaja Worte für unsere Hoffnung. Wir schauen auf Jesus und sagen: Hier ist Gottes Geist. Jesus ist eins mit Gott. Er heilt, was verstört ist. Er hilft den Armen auf. Er bringt Gerechtigkeit und Frieden. Die Liebe Gottes kommt zu uns, die Liebe, die Grund und Ziel der Schöpfung ist. Ein Schössling, ein neuer Trieb am Baumstumpf wird für Jesaja zum Sinnbild: Gott heilt die zerrissene Welt durch seinen Gesalbten, seinen Christus.

Hier geht´s nicht weiter. Bäume liegen kreuz und quer wie Mikadostäbe. Eine falsche Bewegung und die Bäume rutschen ab oder federn hoch. Viel zu gefährlich ist der Weg und darum gesperrt. So unwegsam, gefährlich, chaotisch erscheint uns manchmal unser Leben und unsere Welt. Überall Warnschilder: „Hier geht´s nicht weiter.“

Hochkompliziert ist das Geflecht der Interessen im Krieg in Syrien. Ungeheuer groß ist die Aufgabe, die Erwärmung der Erdatmosphäre aufzuhalten. Psychische Krankheit verstört die Seele eines Menschen, und wir sehen kaum einen Weg, ihn zu erreichen. Streit und Konflikte verwüsten Beziehungen, so dass wir einander nur noch wehtun. Jesaja sagt: Aber es geht weiter und wir brechen auf. Mit Gottes Hilfe finden wir einen Weg und Neues wächst.

Es geht weiter. Über Politiker und auch über Journalisten wird häufig geschimpft, sicher manchmal berechtigt. In diesem Jahr habe ich viele von ihnen bewundert, wie sie sich den Problemen stellen und in den Krisen einen Weg suchen. Ich glaube nicht, dass sie ohne eine Vision von Recht und Frieden und Menschlichkeit die Kraft dazu hätten. Auch die Geduld und den Einsatz von vielen Beamten in Verwaltung, Polizei, Schule in der aktuellen Überforderung finde ich großartig. Es ist einfach wunderbar, wie viele Menschen sich ehrenamtlich in der Hilfe für Flüchtlinge engagieren.

Es muss weitergehen. Das Zeichen der Seelsorge in den Krankenhäusern ist genau das, was Jesaja sieht: der Baumstumpf, aus dem ein neuer Spross wächst. Krankheit verändert, verletzt, bedroht unser Leben. Schmerzen und Ängste zermürben die Kranken. Seelsorge verkündet den Gott Jesajas und den Vater Jesu. Gott ist auf der Seite des Lebens. Auch wenn uns die Krankheit umwirft, hoffen wir auf einen neuen Weg, neues Leben.

Weisheit, Kraft und Gottvertrauen schenkt der Geist. Salomo, der Sohn Davids, steht am Anfang seines Königtums. Ihm ist bange vor der schweren Aufgabe. Da erscheint ihm Gott im Traum und fragt ihn, was er sich denn wünscht. Er bittet: „Gib deinem Diener ein Herz, das hört, damit er deinem Volk Recht verschaffen kann und unterscheiden kann zwischen Gut und Böse.“ (1.Kö 3,9)

Ein Herz, das hört, auf Gott hört. Augen, die mehr sehen, als den Baumstumpf. Hände, die behutsam entwirren, was durcheinander geworfen wurde. So finden wir Wege und gehen weiter.

Wir feiern Weihnachten. Gott kommt zu uns in Jesus Christus. Jesus ist bei uns in und nach Stürmen und auch, wenn wir nicht weiter wissen. Er lehrt unsere Herzen hören, unsere Augen sehen, unsere Hände Gutes tun. Er richtet unsere Füße auf den Weg des Friedens. Amen