Alle Beiträge von Andreas Hansen

Pfarrer in Kenzingen seit Mai 2012, vorher als Pfarrer in Waldshut (1997-2012) und Riegel (1990-1997), verheiratet, drei erwachsene Kinder, Jahrgang 1960

Gott wird abwischen alle Tränen – kann das sein? Predigt über Offenbarung 21,1-7

Predigt am 20.11.16 von Andreas Hansen über Offenbarung 21,1-7

Ewigkeitssonntag - im Gottesdienst werden die Namen der in diesem Kirchenjahr Verstorbenen vorgelesen und für jeden eine Kerze entzündet

Heute ist Totensonntag.
Wir schauen zurück auf Abschied und Leid.
Die Trauer um geliebte Menschen bleibt schwer, als wäre uns ein Stück von uns selbst genommen. Dass alles so alltäglich weitergeht, erscheint uns zuweilen unwirklich. Wir schauen zurück wie auf einen Riss durch unser eigenes Leben.
Wir denken an unsere Toten. Wir denken an den Tod. Manchmal verschlägt es uns die Sprache. Wir verstummen vor Leid und Schrecken.
Und doch hören und sagen wir Worte, die über die bedrängenden Erfahrungen hinausweisen.
Wir zögern wohl, wir fragen, zweifeln.
Wir hören sehnsüchtig auf biblische Hoffnungsworte.
Wir nennen diesen Tag auch Ewigkeitssonntag. Wir sprechen von der Hoffnung, dass alles, alles von Gott gehalten ist. In Gottes Ewigkeit ist Heil und Leben. Da sind unsere Toten und da sind auch wir aufgehoben. Wir hoffen, dass Gott heilt, was zerrissen ist.

Der Predigttext dieses Sonntags steht im letzten Buch des Neuen Testaments, der Offenbarung des Johannes. Johannes ist auf die Insel Patmos verbannt. Dort erlebt er Visionen. Er sieht ein Ende der Gewalt. Gottes Gericht kommt. Gott bringt zurecht, was falsch und ungerecht ist.
Im vorletzten Kapitel seines Buches lesen wir:

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.
Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herab kommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.
Und ich hörte eine Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen!
Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!
Und er sprach zu mir: es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.
Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.

Was für Bilder! Eine Hochzeit. Eine himmlische Stadt. Das neue Jerusalem kommt wie eine geschmückte Braut. Jesus auf dem Thron. Gott wohnt bei uns, seine Hütte, sein Zelt bei uns. Alle Risse sind geheilt, alle Tränen getrocknet. Unser Durst nach Leben wird gestillt. Wunderbar!
Johannes darf über sein Leid hinaus schauen. Er bekommt eine Antwort.
Die Römer haben Jerusalem zerstört. So wird ein neues Jerusalem, die Stadt Gottes für ihn zum Hoffnungsbild. Jesus bestimmt das Bild. Er regiert. Der Kreis wird weiter. Jesus umfasst das Leid der geplagten und zerrissenen Welt. Frieden, eine gerechte, geheilte Welt – denken Sie nur!
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Der Tod wird nicht mehr sein. Kein Leid, keine Klage, kein Schmerz.

Sind das nicht zu große Worte? Flieht Johannes in einen Traum? Vertröstet er die Christen? Nein, Johannes schreibt ein politisches Buch, voll mit Anspielungen auf das Unrecht der Zeit damals. Nur verschlüsselt kann Johannes davon schreiben. Seine Leser aber können die Kritik am römischen Staat gut verstehen. Sie haben das Leid der Verfolgten unter Kaiser Domitian vor Augen.
Ähnlich erfahren wir von Leid oder hören vom Schmerz, der andere trifft – Nachrichten, die uns traurig und ratlos machen.
Vor wenigen Tagen wurde an die 130 Opfer der Terrorakte in Paris vor einem Jahr gedacht. Noch immer sitzt der Schrecken tief.
Der Tod der jungen Carolin Gruber in Endingen erschüttert uns hier in unserer Region.
Menschen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, erleben mit, wie „unsere“ Flüchtlinge schlimme Nachrichten bekommen: dass der Vater eines Flüchtlings in Aleppo durch Bombensplitter umgekommen ist, dass der Cousin zu Tode gefoltert wurde, oder dass vor wenigen Tagen der Cousin gemeinsam mit 27 anderen durch einen Bombenangriff auf Hama umgekommen ist.
Bedrängend nah kommen uns die Gewalt, das Unheil und das Böse. Der Tod ist gegenwärtig im Sterben eines geliebten Menschen und im Schrecken über solche Nachrichten. Auch in ganz normalen Erfahrungen spüren wir unsere Grenze, unsere Vergänglichkeit.
Wo ist Trost?
Schweigt Gott?
Der Tod steht so mächtig vor uns, als müsste er das letzte Wort behalten.
Wir hoffen: Gott hat das erste Wort und das letzte Wort über uns und über alle.

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Der Tod wird nicht mehr sein. Kein Leid, keine Klage, kein Schmerz wird mehr sein.
Ich glaube nicht, dass Johannes vertrösten will. Er verschließt nicht die Augen vor der Wirklichkeit. Er sagt nicht „das ist doch gar nicht so schlimm“.
Im Gegenteil: Seine Visionen entfalten Kraft, sich der Wirklichkeit zu stellen, sich nicht zu ducken, sondern aufrecht zu stehen.
Wir lassen uns nicht unterkriegen von Gewalt und Unrecht.
Wir protestieren gegen den Tod.
Wir widersprechen im Namen Jesu Christi.

Ja, es sind sehr große Worte: „die neue Stadt Gottes – der Tod wird nicht mehr sein – Gott wird abwischen alle Tränen“. Ja, wir nehmen den Mund sehr voll, weil wir ja noch lange nicht dort sind. Viele werden sagen: „Ihr macht euch etwas vor. Ihr seid Spinner, wenn ihr auf die Visionen dieses Johannes hört.“
Darauf antworten wir: „Johannes spricht im Namen Jesu Christi. Jesus weicht der Wirklichkeit und dem Leid nicht aus – darum endet er am Kreuz. Mit Jesus am Ostermorgen, mit seiner Auferstehung beginnt schon die neue Wirklichkeit, die noch vor uns liegt.“

Jesus sagt: Siehe, ich mache alles neu. Auf ihn vertrauen wir.Wir verschließen nicht die Augen. Wir müssen nicht wegschauen oder verdrängen. Was Menschen plagt, nehmen wir ernst. Wir geben Raum dafür, dass Menschen weinen und trauern dürfen und wir versuchen Tränen zu trocknen. Wir wehren uns gegen den Tod und begleiten Sterbende. Der Tod erschreckt uns Christen ebenso wie andere Menschen. Aber die Hoffnung auf Gottes Ziel hilft uns, dem zu begegnen, was uns bedrängt.
Wir glauben: Gott gibt uns ein Ziel, das weit über alles Leid und auch über den Tod hinaus reicht.
Am Ziel erwarten wir den, der von sich sagt: Ich bin Anfang und Ende.
Am Ende wird die Liebe Gottes uns umfangen, seine Liebe, die uns auch ins Leben rief.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Was ist der Mensch? Gedanken von Konfirmanden und Pfarrer Hansen über Psalm 8,5+6 – zum Buß und Bet-Tag

Hansen: „Was ist der Mensch?“ Heute, am Buß- und Bet-Tag denken wir vor Gott über uns nach. Wir sind widersprüchlich. Wir sind für uns selbst rätselhaft. Wir fragen nach unserer Bestimmung – was und wie sollen wir sein? Wir sehen, dass wir oft hinter unserer Bestimmung zurückbleiben. Wir scheitern. Wir sind schwach. Wir werden schuldig. Wie sieht Gott uns an?

 Julian: Was ist der Mensch? So fragen auch die Menschen, die die Bibel geschrieben haben. Der Psalmbeter in Psalm 8 schreibt: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“

Niko: In der Übersetzung, die wir im Konfi verwenden, klingt das so: „Wie klein ist der Mensch, wie gering und unbedeutend! Und doch gibst du dich mit ihm ab und kümmerst dich um ihn! Ja, du hast ihm Macht und Würde verliehen; es fehlt nicht viel und er wäre wie du.“

Simon: Oft können wir Menschen, und auch uns selbst, bewundern und toll finden. Wir können so liebevoll und warmherzig sein. Menschen helfen anderen, ihren Freunden, aber auch Fremden. Wir sagen einander was Nettes. Wir sorgen uns um einander.

Naomi: Wir können aber auch böse sein, herumschreien, genervt sein und andere nerven und streiten.  Menschen sind zu sehr viel Bösem fähig. Sie üben Gewalt und gehen respektlos miteinander um. Sie sind hartherzig und grausam.

Michelle: Menschen können so schlau sein und wunderbare Dinge erfinden, zum Beispiel medizinische Geräte, die Leben retten, Weltraumraketen, das Internet.

Julie: Aber weil wir auf andere neidisch sind und immer mehr Macht und Besitz haben wollen, unterdrücken wir Menschen und sind ungerecht, schaden wir der Natur und führen sogar Kriege.

Lena: Was ist der Mensch? Wir sind so unterschiedlich, unberechenbar, verrückt, so voller Gegensätze: Böse und liebevoll, fair und unfair, warmherzig  und kaltherzig, schlau und dumm, höflich und gemein, zerbrechlich und stark, hilfsbereit und respektlos, schön und hässlich.

Niklas: Gott hat uns erschaffen und doch hat er uns den Tod mit auf den Weg gegeben. Ich denke an Menschen wie die ermordeten junge Frauen in Endingen und Freiburg. Plötzlich kann unser Leben vorbei sein. Was ist der Mensch?

Evelin: In manchen Momenten im Leben muss man einfach ehrlich oder lieb sein. Ein Mensch, der sonst nur böse ist, steckt in einer Notsituation und erfährt Hilfe und Freundlichkeit. Was ist der Mensch? Können wir uns oder andere zum Guten verändern?

Liana: Ich denke, dass in jedem Menschen etwas Böses steckt. Das wird zum Beispiel deutlich, wenn wir angegriffen werden und tief verletzt sind und Rache nehmen wollen. In uns allen steckt Böses und Gutes drin. Was ist der Mensch? Sind wir einfach dem Bösen ausgeliefert, das in uns steckt?

Saskia: Wir sind erschaffen worden von Gott und sind aber zugleich auch vergessen worden, weil wir nicht gut waren im Zusammenhalten. Was ist der Mensch? Kümmert sich Gott um uns?

Emely: im Bericht von der Erschaffung des Menschen heißt es: „Gott schuf die Menschen nach seinem Bild“, und es heißt auch: „Da nahm Gott, der HERR, Staub von der Erde, formte daraus den Menschen und blies ihm den Lebensatem in die Nase. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen.“ Wir sind das Ebenbild Gottes. Wir kommen als sein Ebenbild auf die Welt und werden doch wieder zu Staub. Was ist der Mensch, so großartig und doch so zerbrechlich?

 Hansen: Was ist der Mensch? Wissenschaftler beschreiben, was uns Menschen ausmacht, wie wir uns entwickelt haben und auch wie wir Menschen fähig sind, die Erde zu verwüsten. Philosophen und Künstler fragen nach dem Wesen des Menschen. *Hier im Gottesdienst suchen wir nach einer Antwort, was und wie wir vor Gott sind. *Martin Luther hat sich in vielen schlauen Thesen über die Frage nach dem Menschen mit den Geistesgrößen seiner Zeit auseinandergesetzt. *Und dann kommt er zu einer ganz kurzen Aussage, im lateinischen Text nur drei Worte: hominem iustificari fide – der Mensch wird vor Gott gerecht gesprochen durch den Glauben. *Wir kommen zu uns selbst, zu unserer Bestimmung, unserer Menschlichkeit, wenn wir uns so verstehen: *Gott spricht mich gerecht. Gott will mich. * Nicht weil ich lieb bin, sondern weil er mich liebt. *Nicht weil ich gut bin, sondern weil er ja zu mir sagt, obwohl ich so oft selbstsüchtig und gar nicht gut bin. *Nicht weil ich fromm und gläubig bin, sondern weil er mich bei sich will. *Gott sagt ja zu uns. Wir kommen zu uns selbst, wenn wir ihm vertrauen. Das ist das Wichtigste und Größte, was über uns Menschen zu sagen ist. *Wenn wir uns so verstehen, gewinnen wir Freiheit, eine enorme Freiheit. Gott sagt Ja – das ist unser Fundament. *Wir müssen nichts aus uns machen, um vor uns selbst und vor anderen gut dazustehen. * Wir müssen einander nicht übertreffen und besser sein als die anderen. Wir müssen schon gar nicht andere schlecht machen wie Wahlkämpfer, die aufeinander herumhacken. Wir dürfen zu unseren Schwächen und Fehlern stehen – das ist befreiend, wenn einer sich getraut zu sagen: „Davor habe ich Angst.“ Oder „Das habe ich falsch gemacht. Bitte entschuldige!“ * Und schließlich: So können wir einander mit unseren Fehlern akzeptieren, weil ja für jeden von uns gilt: Gott sagt ja zu diesem Menschen, der mir vielleicht Probleme macht. Er hat wie ich eine Würde als ein Mensch, den Gott liebt und bejaht.

Ich freue mich über Gott und sage voll Bewunderung, was der Psalmbeter spricht: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.“ Amen

Predigt am 13.11.16 (Volkstrauertag) Römer 8,18-25

Predigt am 13.11.16 von Andreas Hansen über Röm 8,8-25

In Psalm 56 heißt es: „Zähle die Tage meiner Flucht. Sammle meine Tränen in deinen Krug. Ohne Zweifel, du zählst sie.“ Der Beter des Psalms ist überzeugt: Das Leid berührt Gott.
Heute ist Volkstrauertag.
Wir erinnern an die Millionen Opfer der Kriege.
Fast jede Familie in Deutschland, in Russland  und Polen und in vielen anderen Ländern kann erzählen vom Leid durch den zweiten Weltkrieg. Zwei Brüder meiner Mutter und der Vater meines Vaters starben. Die Familie musste fliehen.
Wenn ich meinen Schülern und Konfirmanden von Krieg erzähle, ist das für sie kaum vorstellbar. Sie sind ja schon die Urenkel der Kriegsgeneration.
Wenn wir die Nachrichten aus Aleppo oder Mossul hören, klingt das wie aus einer anderen Welt. Was dort geschieht, können wir uns nicht vorstellen. Schnell wollen wir es vergessen.
Dabei ist das Leid so nah. Für die Betroffenen ist es auch nach Jahrzehnten so wirklich und oft schmerzhaft, als wäre es gestern geschehen.
Fliegerangriffe, Verletzungen, Flucht – solche Erfahrungen vergisst man nicht – sie haben sich in die Seele eingebrannt.
Manche fragen: Soll man heute noch trauern, über 70 Jahre nach dem Krieg? Können wir betroffen sein vom Leid in fernen Ländern? Die Antwort ergibt sich fast von selbst, wenn uns heut ein Flüchtling von seinem Schicksal erzählt, so bedrückend nah. „Zähle die Tage meiner Flucht. Sammle meine Tränen in deinen Krug. Ohne Zweifel, du zählst sie.“ Gott ist betroffen von jedem Krieg. Gott lässt sich berühren vom Leid der Welt. Keines Menschen Leid ist ihm gleichgültig.
Christus am Kreuz, zerbrochen von Schmerz, das ist unser Gott. Kein Leid ist ihm fremd. Christus gibt uns zugleich die Hoffnung: Leid und Tod und Unrecht werden überwunden.

Unser Predigttext ist ein Abschnitt im Römerbrief. Paulus schreibt von einer Hoffnung, die die ganze Schöpfung ergreift. Gewalt plagt und entstellt nicht nur uns Menschen. Die ganze Schöpfung leidet unter der Gewalt. Gequälte Tiere, vergiftetes Grundwasser, der Klimawandel – so leidet die Schöpfung unter der Gewalt.  Wir sind mit allen Geschöpfen verbunden in der Sehnsucht nach Erlösung. Wir „seufzen“ wie die ganze Schöpfung.
Hören wir Römer 8,18-25, Paulus schreibt: Im Übrigen meine ich, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen, wenn wir an die Herrlichkeit denken, die Gott bald sichtbar machen und an der er uns teilhaben lassen wird. Ja, die gesamte Schöpfung wartet sehnsüchtig darauf, dass die Kinder Gottes in ihrer ganzen Herrlichkeit sichtbar werden. Denn die Schöpfung ist der Vergänglichkeit unterworfen, allerdings ohne etwas dafür zu können. Sie musste sich dem Willen dessen beugen, der ihr dieses Schicksal auferlegt hat. Aber damit verbunden ist eine Hoffnung: Auch sie, die Schöpfung, wird von der Last der Vergänglichkeit befreit werden und an der Freiheit teilhaben, die den Kindern Gottes mit der künftigen Herrlichkeit geschenkt wird. Wir wissen allerdings, dass die gesamte Schöpfung jetzt noch unter ihrem Zustand seufzt, als würde sie in Geburtswehen liegen. Und sogar wir, denen Gott doch bereits seinen Geist gegeben hat, den ersten Teil des künftigen Erbes, sogar wir seufzen innerlich noch, weil die volle Verwirklichung dessen noch aussteht, wozu wir als Gottes Söhne und Töchter bestimmt sind: Wir warten darauf, dass auch unser Körper erlöst wird. Unsere Errettung schließt ja diese Hoffnung mit ein. Nun ist aber eine Hoffnung, die sich bereits erfüllt hat, keine Hoffnung mehr. Denn warum sollte man auf etwas hoffen, was man schon verwirklicht sieht? Da wir also das, worauf wir hoffen, noch nicht sehen, warten wir unbeirrbar, bis es sich erfüllt.
Die ganze Schöpfung sehnt sich nach Erlösung. Jedes Leben will sich verwirklichen, will leben.
Die ganze Schöpfung hofft, dass sie frei werde von Gewalt, dass sie ihr Ziel, ihre gute Bestimmung von Gott erreicht, dass der Frieden Gottes die Welt erfülle.
Paulus sagt etwas Überraschendes: Das Sehnen der ganzen Schöpfung richtet sich auf uns, auf uns Christen. Die Schöpfung vergeht vor Sehnsucht danach, dass Gottes Kinder offenbar werden. Was wir Christen von Jesus Christus bekommen, erschließt eine Hoffnung für alle. Alle werden erkennen und sehnen sich danach, worauf wir durch Jesus hoffen: Freiheit von Leid und Schuld, ewiges Leben, Seligkeit – Paulus nennt es mit einem Wort: Herrlichkeit. Darüber kann man nur staunen. Herrlichkeit ist gewaltig, schön und so geheimnisvoll wie Gott selbst. Von Herrlichkeit singen die Engel an Weihnachten: „Ehre sei Gott in der Höhe“ – da wird das gleiche Wort, Doxa, mit Ehre übersetzt, das hier Herrlichkeit genannt wird. Gott gehört die Doxa, die Herrlichkeit, sein Glanz. Von der wunderbaren Herrlichkeit Gottes bekommen wir etwas. Sie färbt auf uns ab. Denn wir sind Gottes Kinder.
Wie eine Schwangere in Wehen hört und sieht Paulus die Schöpfung seufzen und stöhnen und gespannt warten. Sie wartet darauf, dass wir endlich als Kinder Gottes herrlich offenbar werden.
Kind Gottes, Sohn Gottes war ursprünglich ein Königstitel. Der König ist frei. Seine Söhne und Töchter sind nicht Sklaven oder Knechte.
Paulus sagt: Alle, die vom Geist Gottes erfüllt sind, tragen schon jetzt etwas von dem in sich, zu dem Gott sie bestimmt hat, freie Kinder Gottes zu sein, ohne Angst vor Leid und Tod.

Noch ist die Schöpfung gezeichnet, entstellt durch Gewalt. Gewalt bringt immer neue Gewalt hervor. Die Truppen, die auf Mossul vorrücken, entdecken Massengräber: Hunderte Menschen vom IS ermordet. In Freiburg und in Endingen wurden in den letzten Tagen junge Frauen ermordet. Solche Nachrichten erschüttern uns. Wir sehen die Macht des Todes überall in unserer Welt. Zerbrechlich ist das Leben derer, die wir lieben, und ebenso unser eigenes.
Paulus schreibt: Mit der ganzen Schöpfung gemeinsam seufzen wir und plagen uns unter dem Joch der Vergänglichkeit. Gott hat uns Christen nicht versprochen, dass  wir vom Leid verschont bleiben. Nie hat Jesus verharmlost oder nicht ernst genommen, was Menschen quält. Aber wir sehen auf Jesus am Kreuz, wir hören die Nachricht des Ostermorgens und wir hoffen für uns und für alle.

Wir hoffen, dass das Kriegsgeschrei verstummen wird – darum sind wir schon jetzt wichtig.
Wir hoffen, dass kein Leid eines Menschen, kein Leid der Schöpfung Gottes vergessen ist.
Wir hoffen, dass der Hass und die Verachtung gegenüber anderen Menschen nicht das letzte Wort behalten. Noch immer hoffen wir, dass auch Politiker, die zu Hass und Unrecht aufrufen zur Vernunft kommen oder von Vernunft in die Schranken gewiesen werden.
Wir hoffen, dass unsere eigene Schuld vergeben wird, unsere Augen und Herzen aufgehen und wir Frieden schaffen.
Noch sehen wir nicht, was wir erhoffen – es liegt noch vor uns. Aber wir hoffen und sind gewiss, dass Jesus Christus uns und aller Welt seinen Frieden bringt.
Wir hoffen und sind gewiss, dass kein Leid in der Welt Gott gleichgültig ist. „Ohne Zweifel, du zählst die Tränen.“

Wir halten den Erfahrungen von Gewalt und Leid und Tod entgegen, was wir glauben und hoffen: Die ganze Schöpfung ist in Gottes Hand. Für alle seine Geschöpfe will Gott Frieden.

Der Friede Gottes, der höher ist als unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Kinderbibeltag 2016

“Jona, auf nach Ninive”: 21 Kinder spielten und erlebten am Samstag, 5. November, die Geschichte des Propheten Jona beim Kinderbibeltag der evangelischen Kirchengemeinde Kenzingen.

Die Szene: Sagenhaft sind der Reichtum und die Macht der Stadt Ninive. Die Stadt und ihr König werden aber auch als Inbegriff des Bösen gefürchtet. Gott schickt Jona, um Ninive vor dem Untergang zu warnen. Aber Jona läuft davon. Nach einer spannenden Flucht, dem Sturm auf dem Meer und drei Tagen im Bauch des Fisches erfüllt Jona endlich seinen Auftrag. Sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machten den Kinder-Bibel-Tag zu einem tollen Erlebnis für die Kinder. Es wurde zusammen gebastelt, gegessen, gesungen und gefeiert. Der Gottesdienst für Klein und Groß am Sonntag stand unter dem gleichen Thema: Gott gibt nicht einmal das böse Ninive auf. Gott will das Leben. Gott traut uns Frieden und Gerechtigkeit zu. “Eine Geschichte voll Hoffnung angesichts von drohender Klimakatastrophe und ungelösten Konflikten in der Welt”, bilanzierte Pfarrer Andreas Hansen.

Waffen von Gott? Predigt über Eph 6,10-17

Predigt am 16.10.16 von Andreas Hansen über Epheser 6,10-17

Waffen üben eine seltsame Faszination aus. Diese Machete hat mein Sohn für eine Wanderung durch den Dschungel gekauft. Natürlich kann sie auch gefährlich sein. Kleine und große Jungs, vielleicht auch Mädchen, phantasieren von Waffen, die sie unangreifbar und mächtig machen. Oder sie schauen Filme an, in denen der Held eine wunderbare Waffe besitzt.
Nicht wahr, da fallen euch sofort Filmhelden ein? Vor 50 Jahren war es z.B. Old Shatterhand und seine silberne Büchse. Wir wissen, was mit Waffen angerichtet werden kann. Schrecklich!
Wir wären gerne unangreifbar, aber wir sind das Gegenteil davon: angreifbar, angegriffen und oft sehr verzagt.
Hören wir den Predigttext aus dem Epheserbrief – es geht um die Waffenrüstung Gottes.

Eph 6,10-17 Neue Genfer Übersetzung

Nun noch ein Letztes: Lasst euch vom Herrn Kraft geben, lasst euch stärken durch seine gewaltige Macht! Legt die Rüstung an, die Gott für euch bereithält; ergreift alle seine Waffen! Damit werdet ihr in der Lage sein, den heimtückischen Angriffen des Teufels standzuhalten. Denn unser Kampf richtet sich nicht gegen Wesen von Fleisch und Blut, sondern gegen die Mächte und Gewalten der Finsternis, die über die Erde herrschen, gegen das Heer der Geister in der unsichtbaren Welt, die hinter allem Bösen stehen.
Deshalb greift zu allen Waffen, die Gott für euch bereithält! Wenn dann der Tag kommt, an dem die Mächte des Bösen angreifen, seid ihr gerüstet und könnt euch ihnen entgegenstellen. Ihr werdet erfolgreich kämpfen und am Ende als Sieger dastehen.
Stellt euch also entschlossen zum Kampf auf! Bindet den Gürtel der Wahrheit um eure Hüften, legt den Brustpanzer der Gerechtigkeit an und tragt an den Füßen das Schuhwerk der Bereitschaft, das Evangelium des Friedens zu verbreiten. Zusätzlich zu all dem ergreift den Schild des Glaubens, mit dem ihr jeden Brandpfeil unschädlich machen könnt, den der Böse gegen euch abschießt. Setzt den Helm der Rettung auf und greift zu dem Schwert, das der Heilige Geist euch gibt; dieses Schwert ist das Wort Gottes.

Wir sind eine Kraft, jede und jeder. Wir sind eine Kraft, miteinander erst recht. Wir haben Teil an der Kraft Jesu Christi. Wir stehen unter dem mächtigen Schutz Gottes. Nehme ich meinen Mund jetzt nicht zu voll? Wir sind doch kein Verein von Kraftmeiern.
Stellen sie sich vor, wer hier so laut von Kampf und Waffen der Christen schreibt: Nach der Aussage des Briefes schreibt Paulus seinen Brief vom Gefängnis aus. Er und die ganze junge Christenheit sind eine lächerlich kleine, machtlose Randgruppe. Sie werden angegriffen, verfolgt, vertrieben und sind doch so siegesgewiss.

In der Zeit des Epheserbriefes entsteht der wichtigste militärische Stützpunkt zwischen Argentoratum – Straßburg und Augusta Raurica – Augst bei Basel hier in unserer Nachbarschaft, in Riegel. Hier wie in Nordafrika, in Ephesus in der heutigen Türkei wie in Palästina herrschen die Römer. Überall sieht man römische Soldaten mit ihren Schildern, Schwertern und Helmen. Ein riesiges, allgegenwärtiges Heer verkörpert die Weltmacht. Die Römer leisten Beachtliches, aber sie vernichten auch alles, was sich ihnen in den Weg stellt. Zahllose Menschen fallen ihnen zum Opfer. Für viele ist die römische Macht der Inbegriff des Bösen.
Wir überblicken kaum, wie viele bewaffnete Konflikte unsere Welt heute erschüttern. Am meisten erschrecken wir heute vor dem Krieg in Syrien. Unvorstellbar ist die Not in Aleppo. Aber immer weiter fallen die Bomben.
Vom teuflisch Bösen schreibt der Brief. Wenn ich höre, was Menschen einander antun, kommt mir das selbst manchmal dämonisch vor, wie eine böse Macht in uns.
Das Böse setzt uns zu in Gewalt, Habgier, Neid, Lüge, wenn ein Mitschüler oder Kollege gemobbt wird, wenn uns jemand wehtut.
Wir haben zu kämpfen – viele können ein Lied davon singen, womit sie kämpfen: Mit einem Burnout, mit schweren Depressionen, weil sie einsam sind und keiner nach ihnen fragt. Manche haben zu kämpfen mit dem Bestand ihrer Ehe, mit ihrem fehlenden Selbstwertgefühl, mit Sorgen. Und auch das gibt es, und nicht zu knapp: Dass Menschen kämpfen mit Gott und um ihren Glauben.
Wir haben auch gegen das Böse in uns zu kämpfen. Wenn die Bibel am Anfang von Kain und Abel schreibt, dann sind ja nicht irgendwelche Urmenschen in grauer Vorzeit gemeint, sondern wir alle, die immer wieder Opfer des Bösen werden, so wie Abel, aber auch Täter wie Kain. Wir sind anfällig dafür.

Paulus ruft uns zu: Rüstet euch gegen das Böse und seine Angriffe! Zieht die Waffen Gottes an! Wir sind nicht wehrlos. Wir sind eine Kraft. Sein erster Satz ist: „Lasst euch vom Herrn Kraft geben, lasst euch stärken durch seine gewaltige Macht!“ Kraft bekommen wir vom Herrn, von Jesus Christus. Kraft bekommen wir nur durch die Verbindung mit ihm. Paulus beschreibt die Kirche wie einen großen Leib. Wir sind ein Leib. Alle hängen wir zusammen und brauchen einander. Und Christus ist unser Haupt, der Kopf, die Zentrale, von der alles ausgeht.
Liebe Gemeinde, das ist wichtig, dass er uns hier zusammen anspricht: Lasst euch vom Herrn Kraft geben! Er meint uns miteinander, uns als Gemeinde. Viel zu sehr verstehen wir uns als Einzelne. Oft höre ich Sätze wie: „Ich kann alleine für mich glauben. Dazu brauche ich keine Kirche.“ Wir sind fast alle durch so ein vereinzelndes, individualistisches Denken geprägt. Aber es stimmt nicht. Ich kann nicht alleine glauben. Ich kann nicht aus mir selbst heraus und nur für mich glauben. Ich brauche die Gemeinde, die anderen, die mit mir glauben, beten, feiern. Denn der Glaube kommt nicht aus mir, er wird mir geschenkt. Er muss mir zugesagt und beigebracht und immer wieder gestärkt werden.
Unser Glaube erscheint uns und anderen oft so kraftlos, so wirkungslos, so unbedeutend. Ich meine, es liegt viel daran, dass wir jede und jeder für sich glauben wollen, vereinzelte Glaubende und vereinzelte Zweifler. Gemeinsam erfahren wir die Verbindung mit Jesus Christus. „Lasst euch vom Herrn Kraft geben!“ Gemeinsam sind wir Christen eine Kraft.
Und die Welt braucht dringend die Kraft, die wir von Jesus Christus her sind. Unsere Welt braucht Botschafter des Friedens und der Gerechtigkeit.
Taugen wir dazu? Wir, die oft selbst nicht friedlich sind und nicht gerecht?
Ja, wir taugen dazu, dass wir auf den Frieden und die Gerechtigkeit Gottes hoffen, auf sein Reich. Gott besiegt alles Böse und sogar den Tod.
Gottes Reich kommt. Darauf hoffen wir trotz allem.
Wir können Gott immer sagen, wie groß unsere Sorgen sind. Wir sollten aber auch unseren Sorgen sagen, wie groß Gott ist.
Wenn Jesus Christus uns stärkt und rüstet, sind wir nicht wehrlos. Mag das Böse doch seine Pfeile schießen! Unser Schild ist der Glaube. Christus ist es, an den wir glauben. Unser Helm ist die Rettung. Christus ist es, der uns rettet und erlöst. Unser Brustpanzer ist die Gerechtigkeit. Christus macht uns vor Gott gerecht. Der Gürtel, der die ganze Montur zusammenhält, ist die Wahrheit. Christus ist Weg, Wahrheit und Leben. An ihn halten wir uns, was auch geschieht. Fehlt noch das Schwert. Das Schwert ist das Wort Gottes. Damit gilt es umzugehen, Tag für Tag, es zu verinnerlichen, es reichlich in uns wohnen zu lassen, damit wir es parat haben, wenn sich uns alles verschließt. Dann ist es wichtig zu wissen: Es steht geschrieben! Letztlich gilt auch hier nichts anderes als vorhin: Christus allein ist das eine Wort Gottes. Es gilt, Christus zu predigen, sein Wort auszubreiten und für das Evangelium des Friedens einzustehen, weil Christus unser Friede ist.

Befreit – erlöst, Ansprache über Jes 43,1-4a

Predigt am 25.9.16 von Andreas Hansen über Jes 43,1-4a

Im Gottesdienst werden vier Kinder getauft und die Konfirmanden vorgestellt

Und nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner statt, weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. (Jes 43,1-4a)

„Erlöst“ – „Lösegeld“ – kennt Ihr, kennen Sie das Wort Schuldenfalle? Jemand muss sich Geld leihen, um seine Rechnungen zu bezahlen. Und dann muss er noch mehr leihen, weil er nun auch noch Zinsen zahlen muss. Und immer so weiter,  bis er nichts mehr hat und nichts mehr bekommt. Dann steckt er in der Falle. Was dann?
Früher wurden Menschen dann verkauft. Sie wurden Sklaven. Sie und ihre Kinder verloren ihre Freiheit. Ganze Länder gerieten in die Falle, wenn sie von anderen, mächtigeren Ländern besetzt wurden und unvorstellbar viel bezahlen mussten.

Manche geraten einfach in die Schuldenfalle, weil sie zu viel ausgeben. Aber viele auch, weil ihnen Unrecht geschieht. Es ist schrecklich, in der Falle zu stecken und alle Freiheit zu verlieren. Es ist auch heute unendlich schwierig, Menschen aus  der Schuldenfalle zu retten, einzelne und ganze Staaten. Und wir haben noch lang keine gerechte Weltwirtschaft, solange Menschen in anderen Ländern für uns arbeiten müssen unter Umständen, die wir hier keinem zumuten würden.

Auch in einem übertragenen Sinn gibt es das: Menschen streiten und tun einander Unrecht, immer mehr, bis sie einander nur noch Vorwürfe machen und die Berge der Schuld unüberwindbar sind: Das ist auch eine Schuldenfalle. Auch in unlösbaren Konflikten werden wir unfrei.

Heillos verworren ist das in Syrien. Jeder sagt: die anderen sind schuld. Dabei wollen viele den Krieg, weil es ihnen um Macht geht oder weil sie daran sogar verdienen. Bezahlen müssen die Millionen Kriegsopfer – unvorstellbar ist ihr Leid. Wie kann das nur weitergehen?

Gott sagt zu seinem Volk: „Ich habe euch erlöst. Ich habe euch frei gekauft, das Lösegeld bezahlt. Ihr sollt frei sein. Freie Menschen will ich.“ Der Prophet Jesaja sagt ihnen das, als ihr Land besiegt und verwüstet ist und sie vertrieben sind, weit weg von ihrem Land, in der Verbannung in Babylon. Sie haben alles verloren.
Wir wissen, was syrische Flüchtlinge berichten, oder auch noch durch die Erfahrungen in und nach dem Zweiten Weltkrieg, wie verstörend solche Verlusterfahrungen sind. Da stehen Menschen vor dem Nichts.

Am tiefsten und dunkelsten Punkt bringt Jesaja seine Botschaft von Gott. Sie hören:  Gott hat uns lieb. Wir sind ihm wichtig. Wir sind befreit, frei gekauft, erlöst. Erinnert euch: so war es schon einmal, damals in Ägypten. Gott befreit uns. Wir gehen durch Wasser und Feuer. Alles kann uns genommen werden. Gott bleibt. Und wir bleiben von Gott geliebt. Darum sind wir frei, frei, selbst in der Verbannung. Niemand kann uns den Glauben nehmen.

Am tiefsten und dunkelsten Punkt bekommt das Volk Gottes, Israel, einen starken Glauben und eine Freiheit. Man kann sagen: Hier entsteht erst richtig der jüdische Glaube an den einen und einzigen Gott.
Und von hier zieht sich eine Linie zu Jesus. Er steht ganz im jüdischen Glauben. Und er verbindet uns Christen mit dem Volk Gottes.

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, befreit, ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ Gott gibt uns eine innere Freiheit. Niemand kann sie uns nehmen. Wir gehören zu Gott. Nicht einmal im Tod am Kreuz lässt Gott Jesus los. Nicht einmal der Tod kann uns trennen von Gottes Liebe.
Wo Menschen in der Falle stecken und nicht weiter wissen, hoffen und glauben wir: Gott wird weiterhelfen.
Wo wir einander nur noch Vorwürfe machen und Schuld aufrechnen, hoffen und glauben wir: es gibt einen neuen Weg.
In Krieg und heillos verworrenen Konflikten, wenn Menschen verstört und tief verletzt sind, hören wir nicht auf, um Frieden zu beten und nach Heilung und Gerechtigkeit zu suchen.

Ja, wir sind oft nicht so stark und zuversichtlich. Die Kirche, wir Christen sind oft viel zu verzagt und resigniert. Wir schauen ängstlich auf uns selbst.
Aber das ist Gottes Wort an sein Volk und an uns: „Fürchte dich nicht! Du bist erlöst, befreit. Geh deinen Weg in der Freiheit der Kinder Gottes!“

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Ist es Liebe? 1.Joh 4,7-12

Predigt am 21.8.16 von Andreas Hansen über 1.Joh 4,-7-12

Die Gottesdienstbesucher erhalten eine Abbildung von Ernst Barlachs Skulptur, Das Wiedersehen, als Lesung aus dem Evangelium hören wir Joh 20,24-29, die Begegnung von Thomas und Jesus

Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe.
Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. Darin besteht die Liebe: nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsre Sünden.
Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben.
Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

Der Milchmann Tevje streitet mit seiner Tochter. Wie kommt sie nur auf die Idee, einen Studenten aus Kiew heiraten zu wollen? Wie kann sie sich gegen ihre Eltern wenden! Die haben ihr doch schon einen Mann ausgesucht. So ist das schon immer im Schtetl, in Anatevka. „Aber den liebe ich nicht!“ Liebe, hat man so etwas schon gehört? Tevje ist außer sich, aber sie lässt ihn einfach stehen. So ein Dickkopf!
Tevje und seine Frau Golde bleiben allein. Er denkt nach, wie es war, wie es ist, bei ihnen beiden. Und er fragt seine Frau: „Ist es Liebe? Golde, sag es!“ Sie zögert bis sie antwortet. Vor  25 Jahren wurden sie verheiratet, ohne einander zu kennen. 25 Jahre waren sie füreinander da. 25 Jahre haben sie alles geteilt. 25 Jahre haben sie zueinander gehalten. Ja, es ist Liebe, es ist Liebe geworden.
Eine rührende Szene im Musical Anatevka. Vor über hundert Jahren wurden viele Ehen von den Eltern arrangiert, nicht nur im polnisch-jüdischen Schtetl.

Ist es Liebe? Oder was hält Menschen zusammen?  Leidenschaft, Tradition, Verpflichtung, Gewohnheit, gemeinsame Aufgaben, Angst vor dem Alleinsein? Ist es nur dann Liebe, wenn die Beziehung frei ist von jeder Verpflichtung? Oder steckt dahinter ja doch nur Egoismus, Selbstsucht? Gibt es denn selbst-lose Liebe – wäre sie denn erstrebenswert?
Liebe ist ein schwieriges Wort – so oft missbraucht, um Gefühle vorzutäuschen, um einen Menschen zu beherrschen, um Geschäfte zu machen. Ich kann verstehen, wenn jemand nicht mehr von Liebe reden will. Aber ich kann auch verstehen, wenn jemand von Liebe schwärmt. Ich gerate selbst ins Schwärmen über die wunderbare Liebe, die so viel Gutes und Großes vermag, die Grenzen überwindet, die Menschen erfüllt und glücklich leben lässt.

„Gott ist die Liebe.“ Johannes traut sich was.
Er weißt, wie leichtfertig und missverständlich wir von Liebe reden und wie oft wir der Liebe widersprechen. Dennoch sagt er es,  wie eine Definition: Gott ist die Liebe.
Wer wird definiert? Nicht Gott wird definiert. Niemand hat Gott gesehen. Er bleibt größer als unser Verstehen.
Die Liebe wird definiert. Wenn es einen Maßstab für Liebe gibt, dann in Gott. Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er uns.
Im gleichen Atemzug sagt Johannes, wer wir sind. In einem Wort, im ersten Wort unseres Abschnitts: „Ihr Lieben!“ – er sagt wörtlich „Geliebte!“ Wir sind Gottes Geliebte. Das genügt um uns zu beschreiben. Gott spricht sein Ja zu uns. Er findet es wunderbar, dass es uns gibt. Er will unser Leben. Er liebt uns.

Kann ich in dieser zerrissenen Welt an Liebe glauben? Was Menschen einander antun können, entsetzt uns immer wieder. Wir hören von den in Aleppo eingeschlossenen Menschen, von den unzähligen Opfern von Folter in syrischen Gefängnissen – unfassbar. Was steckt in uns, dass wir Menschen zu solch kalter Grausamkeit fähig sind? Kollegen oder Klassenkameraden machen einen fertig, mobben ihn, und keiner schreitet ein. Beziehungen werden leichtfertig zerstört. Wir nehmen in Kauf, dass Menschen wie Sklaven schuften, damit wir billige Produkte kaufen können. Gleichgültig lassen wir unsere Mitmenschen im Stich und verletzen sogar die, die uns lieben.
Ist es Liebe? Glauben wir an die Liebe? Wir Christen sind ja nicht besser als andere. Johannes weiß um den Streit, der die Gemeinden entzweit, um verletzendes Verhalten, Rücksichtslosigkeit, Rechthaberei und vieles mehr, was der Liebe widerspricht. Und trotzdem sagt er: Wir kennen Gott, denn er befähigt uns zur Liebe. Er gibt uns die Kraft, seinen Geist, dass wir einander dennoch annehmen. Liebe erträgt den anderen. Sie macht nicht blind, wie manche sagen, sondern sehend. Liebe sieht, wie gut wir einander trotz allem sein können.

Es ist Liebe, die Gott zu uns treibt.
Die Liebe Gottes ist erschienen. Sie kommt zu uns.
„Gottes Liebe zu uns ist daran sichtbar geworden, dass Gott seinen einzigen Sohn in die Welt gesandt hat, um uns durch ihn das Leben zu geben.“ (Vers 9 Neue Genfer Übersetzung) Er lebt und stirbt, um die zerrissene Welt zu heilen und um uns seine Liebe zu schenken. Er lebt. Die Liebe bleibt.

Ist es Liebe? Kann ich die Liebe für mich gelten lassen? Enttäuscht, traurig fragt der Jünger Thomas: „Ist das denn wahr? Gilt es noch, was Jesus gesagt hat, was er getan hat?Ist mit seinem Tod doch nicht alles aus? Jesus ist mir so fern. Ich möchte ihn begreifen. Ich möchte so gern glauben, aber ich kann es erst, wenn ich ihn sehe.“

Das Wiedersehen hat Ernst Barlach seine Skulptur genannt. Jesus umarmt Thomas. Er stützt ihn. Thomas hält sich an ihm fest. Sein Gesicht zeigt, wie angespannt er ist, wie tief seine Enttäuschung war. Die ganze Anspannung eines mühsamen Menschenlebens in seinem von Angst verzogenen Gesicht. Jesus hält den Jünger, der nicht glauben kann. Er erträgt seine Zweifel, sein Unvermögen. Liebevoll hält er ihn fest.

Jesus sieht nicht Thomas an, sondern uns, wenn er sagt: „Selig seid ihr, wenn ihr nicht seht und doch glaubt.“
Selig sind wir, wenn wir uns der Liebe Gottes anvertrauen. Jesus hält uns, obwohl wir einander Liebe schuldig bleiben. Jesus erträgt unsere Zweifel, unsere Schwäche. Jesus richtet uns auf.
„Geliebte, lasst uns einander lieben, denn die Liebe hat ihren Ursprung in Gott.“

Amen

Bekehrung, Apostelgeschichte 9,1-18

Predigt am 14.8.16 von Andreas Hansen über Apg 9,1-18

Eine ganze Reihe von Terrorakten und Gewalttaten hat uns in den letzten Wochen erschreckt. Was treibt Menschen wie den Amokläufer von München zu ihren Taten? Wie wird einer zum Terroristen? Wie wird aus einem ganz normal wirkenden Mann ein Verbrecher? Die persönlichen Voraussetzungen der Täter ähneln einander. Es sind schwache, unsichere, verletzte Persönlichkeiten. Sie lassen sich verführen durch etwas, was ihrem Leben eine Bedeutung zu geben verspricht. Sie haben keine Empfindung für ihre Opfer. Wie alle, die Gewalt üben gegen Schwache, die Kinder oder Wehrlose schlagen, sind sie selbst eigentlich schwach.

Unser Bundespräsident sagte bei der Trauerfeier für die Opfer von München: „Aber all denen, die aus unseren Heimaten Orte der Furcht und des Schreckens machen wollen – den Attentätern und Amokläufern wie den Terroristen, werden wir eines nicht geben: unsere Unterwerfung. Sie werden uns nicht zwingen zu hassen, wie sie hassen. Sie werden uns nicht in der Gefangenschaft immerwährender Furcht halten. Wir werden nämlich bleiben, was wir sind: eine mitmenschliche, eine solidarische Gesellschaft.“ Soweit Joachim Gauck. Wir wollen uns schützen und wehren, aber nicht auf die gleiche Stufe herunterziehen lassen. Wir wollen jeden Menschen in seiner Würde achten und uns nicht von Hass und Rache leiten lassen.
Gott stellt sich dem Hass entgegen.
Auch in unserem Predigttext verändert sich ein Mensch. Sein Weg macht eine Kehre um 180 Grad: Gott bringt einen Menschen zurecht, der von Hass erfüllt ist. Der wichtigste Apostel der Christenheit hat die Christen zuerst verfolgt.

Apg 9,1-18 Saulus aber schnaubte noch immer Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn. Er ging zum Hohen Priester und bat ihn um Briefe an die Synagogen in Damaskus, dass er, wenn er Anhänger dieses neuen Weges dort finde – Männer und auch Frauen -, sie gefesselt nach Jerusalem bringen solle. Als er unterwegs war, geschah es, dass er in die Nähe von Damaskus kam, und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht vom Himmel; er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme zu ihm sagen: Saul, Saul, was verfolgst du mich? Er aber sprach: Wer bist du, Herr? Und er antwortete: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Doch steh auf und geh in die Stadt, und es wird dir gesagt werden, was du tun sollst. Die Männer aber, die mit ihm unterwegs waren, standen sprachlos da; sie hörten zwar die Stimme, sahen aber niemanden. Da erhob sich Saulus vom Boden; doch als er die Augen öffnete, konnte er nicht mehr sehen. Sie mussten ihn bei der Hand nehmen und führten ihn nach Damaskus. Und drei Tage lang konnte er nicht sehen, und er aß nicht und trank nicht.  
In Damaskus aber war ein Jünger mit Namen Ananias, und zu diesem sprach der Herr in einer Vision: Ananias! Er sagte: Hier bin ich, Herr. Der Herr aber sagte zu ihm: Mach dich auf und geh in die Straße, die man ‹die Gerade› nennt, und frag im Haus des Judas nach einem Mann aus Tarsus mit Namen Saulus! Du wirst sehen, er betet, und er hat in einer Vision einen Mann namens Ananias gesehen, der zu ihm hereinkam und ihm die Hände auflegte, damit er wieder sehe. Ananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen Seiten gehört, wie viel Böses dieser Mann deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat. Und von den Hohen Priestern hat er hier die Vollmacht, alle festzunehmen, die deinen Namen anrufen. Der Herr aber sagte zu ihm: Geh hin, denn gerade er ist mein auserwähltes Werkzeug, meinen Namen zu tragen vor den Augen von Völkern und Königen und vor den Augen der Israeliten. Ich werde ihm zeigen, wie viel er wird leiden müssen um meines Namens willen. Da machte sich Ananias auf und ging in das Haus hinein, legte ihm die Hände auf und sprach: Saul, mein Bruder, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir erschienen ist auf dem Weg, den du gekommen bist: Du sollst wieder sehen und erfüllt werden von heiligem Geist! Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen, und er sah wieder; und er stand auf und ließ sich taufen.

Paulus fragt: „Du nennst mich Bruder?“
Ananias antwortet:„Es fällt mir nicht leicht, dich so zu nennen. Du hast uns Schlimmes angetan. Als Stephanus gesteinigt wurde, standst du da und hast dich gefreut. Verhaften wolltest du uns und nach Jerusalem zum Prozess schleppen. Aber nun bist du mein Bruder. Ich folge der Liebe Christi. Du hast Jesus Christus gehasst. Jetzt weißt du, dass er lebt.“
„Ich sehe, Ananias. Ich danke dir, dass du mich Bruder nennst. Ich habe euch verachtet, gehasst, und du legst mir die Hände auf, dass ich sehen kann. Ich habe Jesus verfolgt, und er macht mich zu seinem Boten.“

Was ist geschehen? Was hat Paulus verwandelt? Er selbst spricht in seinen Briefen zurückhaltend davon. An die Gemeinden in Galatien schreibt er: Christus hat sich mir offenbart. Und in einem Brief an die Korinther spricht er von einer Vision, die für ihn selbst nach vierzehn Jahren immer noch ein Geheimnis ist. Er schreibt: „Nicht mehr ich bin es, der lebt, nein Christus lebt in mir. Und solange ich dieses irdische Leben noch habe, lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mir seine Liebe erwiesen und sich selbst für mich hingegeben hat.“ (Gal 2,20) Die Liebe Christi hat Paulus überzeugt. Durch sie konnte er ein anderer werden.  Paulus berichtet, dass er Jahre brauchte, bis er bereit war, dem Auftrag Jesu zu folgen. Er zog sich zunächst zurück.
Dreimal erzählt Lukas in seiner Apostelgeschichte von der Begebenheit, die Paulus verwandelt hat. Er hat Respekt vor dem, was nur Paulus selbst sagen kann: Die Begleiter hören eine Stimme, aber sie sehen nicht, was er sieht.

Paulus kann nicht weiter gehen. Er gerät ins Stolpern, stürzt nieder, liegt am Boden. Ein Bruch im Leben, wie einen Krankheit niederwirft, Streit ins Stolpern bringt, unser Leben wie ein Scherbenhaufen vor uns liegt. Wie einer einfach nicht verlogen und falsch weiter machen kann.
Jesus Christus unterbricht Paulus. Ins Wanken gerät, was so gewiss schien, seine Überzeugung, seine Kraft, sein Selbstbewusstsein. Licht blendet ihn, erschreckend und schön. Er muss ganz neu beginnen, warten, hören, beten. Das ist ein schmerzhafter Prozess, wenn wir unsere Gewissheiten verlieren. Ein Bruch, ein Sturz, ein Selbstverlust. Paulus ist erschüttert. Er sieht nicht, er isst und trinkt nicht. Alle Kraft braucht er, weil er seinen Weg verloren hat. Wie kann er weitergehen?
„Mach die Augen auf, Saul, mein Bruder! Du hast Jesus gehasst und verfolgt. Jetzt hast du ihn erkannt und wirst sein Zeuge sein.“

Liebe Gemeinde, wir glauben es nicht. Wir glauben nicht, dass ein Mensch kann verwandelt werden. Wir meinen, einer, der böse ist, wird immer böse sein. Wir meinen, so bin ich halt und so bleibe ich mein Leben lang. Unser Urteil über andere steht fest. Unsere Gewissheiten stehen fest. Vor allem glauben wir, dass wir selbst im Recht sind.
Christus unterbricht uns. Unserem Unglauben, unserem Mangel an Vertrauen und Liebe setzt er seine Liebe entgegen.
„Warum hasst du deinen Nächsten? Warum verfolgst du mich? Geh nicht weiter auf diesem Weg!“

Wir erschrecken über die Amokläufer und Terroristen. Ein Mensch kann auch verwandelt werden durch Hass und Angst. Wie sind sie nur in diesen Wahn geraten? Die Eltern von David aus München sind fassungslos, dass ihr Sohn sich so entwickelt hat und zu so etwas fähig war. Ein großes Leid ist auch über sie gekommen. Und nun müssen sie sich verstecken vor denen, die wieder Hass schüren und zur Gewalt aufhetzen.
„Wir werden ihnen nicht unsere Unterwerfung geben. Sie werden uns nicht zwingen zu hassen, wie sie hassen. Sie werden uns nicht in der Gefangenschaft immerwährender Furcht halten. Wir werden eine mitmenschliche, eine solidarische Gesellschaft bleiben.“

Wir Menschen sind so verführbar sind und so zerbrechlich. Das ist zum Erschrecken. Das Böse kann in uns solche Macht gewinnen. Erschreckend.
Aber die tiefste Mitmenschlichkeit und eine große Kraft erfahren wir durch die Liebe Jesu Christi. Der kann uns  verwandeln.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

wie Kinder werden ??? Predigt über Mt 18,1-5 am Tag der Verabschiedung von Frau Dick als Kindergartenleiterin

Predigt am 24.7.16 von Andreas Hansen über Mt 18,1-5

In jener Zeit kamen die Jünger zu Jesus und fragten: »Wer ist eigentlich der Größte im Himmelreich?« Jesus rief ein Kind, stellte es in ihre Mitte und sagte: »Ich versichere euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen. Darum: Wer sich selbst erniedrigt und wie dieses Kind wird, der ist der Größte im Himmelreich. Und wer solch ein Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.«

Ein Kind steht in der Mitte, genau übersetzt ein Kleinkind.
So gefällt es Jesus. Er bleibt nicht stehen und schaut auf das Kind herunter, er geht in Hocke, wie eine Erzieherin das macht. Er wendet sich dem Kind zu und nimmt die Perspektive des Kindes ein. Jesus redet und spielt mit dem kleinen Kind. Er macht ein Fingerspiel, er singt und fragt. Das Kind redet und spielt und lacht mit Jesus.
Um Jesus herum stehen seine Jünger. Ungeduldig schauen sie zu. Was soll das denn? Sie haben eine Frage gestellt und Jesus hat nicht geantwortet. Wer ist der Größte im Himmelreich? Aber Jesus lässt sie stehen. Er geht in den Hof zu den spielenden Kindern. Das Kleinste spricht er an, das mit dem er jetzt bei ihnen spielt.
Kinder werden damals gering geachtet. Sie können nichts bewirken. Sie sind bedeutungslos, unfertig wie ein Werkstück, das man erst noch schleifen und formen muss. Den Jüngern gehen die Kinder wohl auf die Nerven.
Jesus nimmt das Kind auf den Schoß und sieht seine Jünger an. „Ihr fragt mich, wer der Größte für Gott ist. Hier! Jemand, wie dieses Kind ist der Größte. Wie Kinder sollt ihr werden! Hört auf zu streiten! Hört auf damit, größer sein zu wollen als die anderen!“
  Verlegen tappt Petrus von einem Fuß auf den anderen. Jakobus wird rot und schaut zu Boden. Ja, sie haben gestritten. Johannes aber ist immer noch verärgert: „Wir sind nun mal keine Kinder mehr. Wir wissen, wie hart es in der Welt zugeht. Wir kennen das Leben. Darum hoffen wir ja, dass Gott alles anders macht. Und dann wollen wir bestimmen und für Gerechtigkeit sorgen.“
  Jesus antwortet: „Johannes, merkst du nicht, wie hart du selbst bist? Du hast deine Vorstellung, was gerecht und richtig ist, und das willst du um jeden Preis durchsetzen. Wie ein kleines Kind sollst du sein, so neugierig, begierig zu lernen, so ganz auf Gott angewiesen wie ein Kind, das seine Eltern braucht. Wie ein Kind sollst du offen sein und bereit zu vertrauen.“

Sollen wir wirklich wie Kinder sein oder werden? Sollen wir wie Kinder sein in einer Welt, in der Macht und Geld und Erfolg zählen? Sollen wir wie Kinder sein in unserer Zeit, in der uns täglich Nachrichten von Terror und Unrecht erschrecken?
In unserem Kindergarten und in den meisten Kindergärten in unserem Land gibt es Kinder, die Krieg und Flucht erlebt haben. Es gibt auch Kinder, die andere schlimme Sachen kennen.
  Aber die Kinder sind stark, obwohl sie so verletzlich sind. Sie sind stark, weil sie lernen wollen, weil sie neugierig und offen sind. Sie sind stark, weil sie das Lustige und das Schöne sehen und sich darüber freuen. Und besonders sind Kinder stark, weil sie vertrauen. Sie vertrauen ihren Eltern und sie vertrauen, dass das Leben gut ist.
Uns Erwachsenen ist viel von der kindlichen Kraft verloren gegangen. Wir haben verlernt zu staunen und offen zu sein. Wir weigern uns oft, etwas Neues zu lernen. Man bekommt nichts geschenkt, sagen wir – welch ein Irrtum! Alles, was wirklich zählt, können wir uns nur schenken lassen. Und wir Erwachsenen können nur so schlecht vertrauen. Wir sind misstrauisch. Wir lassen uns von Ängsten leiten und verleiten.

„Werdet wie die Kinder!“ Jesus will, dass wir wie Kinder werden, stark und frei und voll Vertrauen, gerade weil die Welt so hart ist.
Wir können dem, was uns Angst macht, dem Terror und der Ungewissheit, am besten mit Vertrauen und innerer Freiheit und Offenheit begegnen.
Denn wir sind und bleiben Gottes Kinder. Wir sind und bleiben in allem, was kommt, geliebt von unserem Vater, gehalten und geborgen.

Ein Kind steht in der Mitte. So gefällt es Jesus und er sagt: „wer solch ein Kind aufnimmt, der nimmt mich auf.“ Jesus weiß schon, wie verletzlich und bedürftig Kinder sind. Er kennt das Leid der verachteten, herumgeschubsten Kinder. Ganz im Gegensatz zur damaligen Gesellschaft nimmt Jesus Kinder ernst und wichtig.
Noch immer und trotz aller Veränderung nimmt unsere Gesellschaft Kinder nicht ernst genug. Zum Glück haben wir erkannt, wie wichtig die Förderung der Kinder ist, und geben inzwischen mehr aus für Kindergärten – der Nachholbedarf war groß. Aber noch immer hat gerade die frühkindliche Bildung keine angemessene Priorität.
Erzieherinnen und Erzieher verdienen hohe Achtung. Sie nehmen Kinder auf und geben ihnen Zuwendung, Aufmerksamkeit, Geduld und Liebe.
Unschätzbar wertvoll ist das, was Kinder durch die Förderung im Kindergarten lernen. Erzieherinnen nehmen die kindliche Neugier und Offenheit auf, gehen auf Fragen und Bedürfnisse ein, geben Geborgenheit, stärken Kinder in ihrer Entwicklung und fördern ihr Verhalten in der Gruppe.
Unschätzbar wertvoll ist der Kindergarten, damit aus kleinen Kindern lernfähige, selbstbewusste und soziale große Kinder und Erwachsene werden, Menschen, denen das Kindsein nicht ausgetrieben wurde, Menschen die offen und empfindsam sind und die vertrauen können. Amen