Predigt am 2.8.15 von Andreas Hansen über 2.Mose 16,2+3.11-18
Gottesdienst auf dem Bombacher Weinfest, katholischer Gottesdienst mit evangelischer Predigt
Wir feiern Weinfest. Es gibt von allem genug: Wein und Saft, Fleisch, Pommes und Salat, alles, was das Herz begehrt. Und wir leben in Frieden! Wunderbar! Dann hören wir ausgerechnet hier die Lesung dieses Sonntags: Israel in der Wüste. Ein langer schwerer Weg liegt vor ihnen, voll Entbehrungen, Gefahren und Prüfungen. Israel erinnert sich immer wieder an den Weg durch die Wüste. Und auch wir denken an Wüstenerfahrungen für andere und für uns. Umso mehr schätzen und feiern wir den Frieden. Wir feiern Weinfest. Und wir feiern auch das Fest des Glaubens. Schalom, das hebräische Wort für Frieden bedeutet „genug haben“. Allen wünschen wir Gottes Frieden.
Aber viele müssen durch Wüsten gehen: Mir fallen die Menschen in Griechenland ein. Viele müssen sich dort sehr einschränken und wissen nicht, wie es weitergeht. Oder ich denke an die zahllosen Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak und es macht mir Angst, wenn ich höre, dass die Türkei den Konflikt mit den Kurden wieder anheizt. Ein konkretes Beispiel: Zwei junge Frauen, zwei Schwestern, aus dem Irak. Sie haben sich als Muslima einem christlichen Hauskreis angeschlossen. Der Kreis flog auf und sie mussten fliehen. Sie haben viel hinter sich. Man mag es sich gar nicht vorstellen. Jetzt sind sie hier in Denzlingen notdürftig untergekommen und brauchen dringend eine Wohnung – vorher waren sie in eine Unterkunft mit lauter Männern geraten, weil man sie fälschlich für ein Ehepaar hielt. Mein Kollege aus Denzlingen bittet, dass wir uns umzuschauen nach einer kleinen Wohnung für sie. Die beiden Frauen sprechen schon ganz gut Deutsch und haben gute Ausbildungen, aber es wird noch ein schwerer, langer Weg für sie werden. Wenn wir so ein einzelnes Flüchtlingsschicksal hören, sagt jeder: „da muss man doch helfen.“ Aber die vielen Flüchtlinge sind eine große Aufgabe. Dafür brauchen wir Mut, Geduld, Kraft und Großherzigkeit. Was wir nicht gebrauchen können, wogegen wir uns verwahren, ist dumpfe Hetze gegen die Flüchtlinge.
Wie ein Weg durch die Wüste ist auch vieles, was wir ganz nah erleben: z.B. die zwanzigste Bewerbung nach lauter Absagen, oder ein Weg durch seelisches Leid, wenn das Leben durcheinandergeworfen ist, in Krankheit, nach einem Unfall, nach einer Trennung. Viele sehen schwere Wege und harte Zeiten vor sich. Es ist bitter, weil man ja auf bessere Zeiten zurückblickt und vor sich nur „Wüste“ sieht: Entbehrung, Trauer, Ungewissheit. Jüdische Ausleger vermuten, das Volk Israel ist gerade erst einen Monat unterwegs. Was sie an Vorräten aus Ägypten mitgenommen haben, ist verbraucht. Aber sie haben noch einen sehr langen Weg durch die Wüste vor sich. „Wie sollen wir das nur schaffen? Unmöglich! Viel zu schwer. Wir werden umkommen.“ Mich kann schon ein wenig Hunger absolut mürrisch machen. Darum stelle ich mir vor, wie niedergeschlagen sie sind, lebensmüde. Sie sehnen sich zurück nach den Fleischtöpfen Ägyptens – das ist zum Sprichwort geworden für eine verdrehte Sicht der Dinge. Mit ironischem Zwinkern wird das Gejammer des Volkes erzählt. In Ägypten saßen sie vielleicht bei den Fleischtöpfen, aber sie aßen nichts davon. Für die Hebräer, die Sklaven, blieb nur eine dünne Suppe und bestenfalls der billige Fisch aus dem Nil. Aber was würden sie jetzt in der Wüste dafür geben! Vergessen ist die Not im Sklavenhaus Ägypten.
Wer ist schuld an ihrer Misere in der Wüste? Das Volk macht sich Luft und schimpft auf Mose und Aaron. Sie „murren“ – das Wort klingt aggressiv, anmaßend wie das Gemotze eines frechen Heranwachsenden. Und wie bei Jugendlichen steckt hinter dem aufsässigen Ton eigentlich Unsicherheit, die Frage nach einem verlässlichen Gegenüber. Das Volk murrt – und Gott hört ihr Murren. Gott versteht die Frage hinter dem Gemaule, die Angst: „War das richtig, was wir geglaubt haben? Wohin führt uns dieser Wüstenweg? Können wir uns auf Gott verlassen?“ Sie murren und Gott hört sie.
Das ist wunderbar: Gott hört uns. Für ihn müssen wir keine wohlgesetzten Worte finden. Er hört unser Murren, unsere Klage. Er nimmt uns an in unserer Bedürftigkeit. Er versteht unsere Angst vor schweren Wegen. In Jesus geht Gott mit uns auf unsren Wegen, begleitet uns durch Leid und Angst bis zuletzt. Ihm ist kein Weg zu schwer. Gott ist bei dem Jugendlichen auf seinem Weg zum zwanzigsten Bewerbungsgespräch. Die Zeugnisse werden nicht plötzlich besser, aber Gott sagt: „Lass dir nicht einreden, du bist eine Niete. Warte nur: Du findest deinen Platz!“ Gott ist bei den Flüchtlingen, dass sie nicht ihre Selbstachtung verlieren. Gott ist bei den Menschen in seelischer Not, dass sie nicht verzweifeln. Später wird Israel gerade die Zeit in der Wüste als intensive Gotteserfahrung erinnern. Sie erleben Gottes Nähe. Sie gehen gestärkt und getröstet weiter.
„Man hu? Was ist das? Brot in der Wüste?“ Tag für Tag werden sie versorgt. Sie können keine Vorräte sammeln. Sie leben von der Hand in den Mund. „Unser täglich Brot gib uns heute.“, bitten wir. Wir haben heute und hier mehr als das: Wein und Saft, Fleisch und Salat. Wir feiern ein Fest und genießen die guten Dinge. Dennoch sind wir bedürftig. Täglich brauchen wir die Gaben Gottes. Täglich schenkt Gott uns Leben. Kein Schritt, kein Atemzug gelingt ohne seine lebenserhaltende Kraft. Jeden Tag auf´s Neue sorgt Gott für uns.
Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern das Fest des Glaubens. Gott schenkt uns Leben. Jesus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Natürlich erinnert uns das Brot in der Wüste an das Abendmahl, die Eucharistie. Ich freue mich über all das, was uns, katholische und evangelische Christen, verbindet. Wir stärken einander im Glauben – das empfinde ich tief. Aber immer noch sind wir am Tisch des Herrn nicht verbunden. Ich bin sicher, eines Tages werden wir ganz offiziell auch diesen Schritt gehen.
Wir feiern Weinfest. Die guten Gaben genießen wir und danken Gott. Wir denken an die Menschen, die durch „Wüsten“ gehen müssen. Wir kennen auch eigene Wüstenerfahrungen. Aus Gottes Kraft leben wir Tag für Tag. Ihm vertrauen wir uns an.
Mit einem Gebet von Franz von Assisi möchte ich schließen: „O Herr, in deinen Armen bin ich sicher. Wenn du mich hältst, habe ich nichts zu fürchten. Ich weiß nichts von der Zukunft, aber ich vertraue auf dich.“ Amen
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