1.Petrus 2,1-10

Predigt am 27.7.14 von Andreas Hansen über 1.Petrus 2,1-10

Liebe Gemeinde, die Nachrichten dieser Tage sind schrecklich. Fast 300 Menschen werden in der Ukraine ermordet, ihr Flugzeug vom Himmel geschossen. Im Gaza-Streifen sucht israelisches Militär die Waffen, mit denen Israel ständig beschossen wird. Dabei kommen Hunderte ums Leben. In Freiburg wird ein Kind ermordet, der sechste Mordfall für die Freiburger Kripo in kurzer Zeit. Wir können das gar nicht fassen, was Menschen einander antun.

Erschüttert sind wir, wenn uns selbst unerwartet Böses trifft, wenn sich jemand gegen uns wendet, Lügen über uns verbreitet, gegen uns hetzt und uns schaden will. Wir erschrecken über die Welt, über unsere Mitmenschen, selten, wohl zu selten, auch über uns selbst. So zerrissen, gewalttätig, böse. Wie kann das nur sein? Ich möchte das Erschrecken mit der Fremdheit vergleichen, von der der erste Petrusbrief schreibt. Er nennt seine Adressaten Fremde in der Welt. Manche meinen, er schreibt schon in der Zeit der ersten Christenverfolgung. Ich glaube eher, die Entfremdung und Fremdheit ist grundsätzlicher Art, ein Erschrecken über die Welt und auch über uns selbst, uns alle. Wie weit entfernen wir uns von dem, was wir sein wollen und sollen, was menschlich ist! Wie tief ist unser Widerspruch gegen Gott! Die Fremdheit empfindet Petrus, oder der der in seinem Namen schreibt, so überdeutlich, gerade weil er das Gegenteil erfahren hat: Geborgenheit, Halt, Sinn, Beheimatung durch Jesus Christus. Petrus spricht seine Gemeinden an als solche, die ein Zuhause gefunden haben, gerettet aus der Fremdheit, glücklich und geborgen in dieser Welt, die so zerrissen und voll Leid ist. Er schreibt kurz vor unserem Text: „Richtet euch (…) ganz auf Jesus Christus aus: Lebt so, dass ihr für sein Kommen bereit seid! Bleibt wachsam und besonnen und setzt eure Hoffnung völlig auf die Gnade, die euch erwiesen wird, wenn er in seiner Herrlichkeit erscheint.“ (1. Pt 1,13) Nun will ich den Predigttext für diesen Sonntag lesen, die ersten Verse von 1.Petrus 2 in der Neuen Genfer Übersetzung:

Darum legt alle Bosheit und allen Betrug ab, alle Heuchelei, allen Neid und alle Verleumdung! Genauso, wie ein neugeborenes Kind auf Muttermilch begierig ist, sollt ihr auf Gottes Wort begierig sein, auf diese unverfälschte Milch, durch die ihr heranwachst, bis das Ziel, eure endgültige Rettung, erreicht ist. Ihr habt von dieser Milch ja schon getrunken und habt erlebt, wie gütig der Herr ist. (Ps 34,9) Kommt zu ihm! Er ist jener lebendige Stein, den die Menschen für unbrauchbar erklärten, aber den Gott selbst ausgewählt hat und der in seinen Augen von unschätzbarem Wert ist. Lasst euch selbst als lebendige Steine in das Haus einfügen, das von Gott erbaut wird und von seinem Geist erfüllt ist. Lasst euch zu einer heiligen Priesterschaft aufbauen, damit ihr Gott Opfer darbringen könnt, die von seinem Geist gewirkt sind – Opfer, an denen er Freude hat, weil sie sich auf das Werk von Jesus Christus gründen. Gott sagt ja in der Schrift: »Seht, ich verwende für das Fundament auf dem Zionsberg einen Grundstein von unschätzbarem Wert, den ich selbst ausgewählt habe. Wer ihm vertraut, wird vor dem Verderben bewahrt werden.« (Jes 28,6) Euch also, die ihr glaubt, kommt der Wert dieses Steins zugute. Doch was ist mit denen, die an ihrem Unglauben festhalten? Es heißt in der Schrift: »Der Stein, den die Bauleute für unbrauchbar erklärten, ist zum Eckstein geworden.«(Ps 118,22) Und an einer anderen Stelle heißt es: »Es ist ein Stein, an dem sich die Menschen stoßen, ein Fels, an dem sie zu Fall kommen.« (Jes 8,14) Sie stoßen sich an diesem Stein, wie es allen bestimmt ist, die nicht bereit sind, Gottes Botschaft Glauben zu schenken. Ihr jedoch seid das von Gott erwählte Volk; ihr seid eine königliche Priesterschaft, eine heilige Nation, ein Volk, das ihm allein gehört und den Auftrag hat, seine großen Taten zu verkünden – die Taten dessen, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat. Früher wart ihr nicht Gottes Volk – jetzt seid ihr Gottes Volk. Früher wusstet ihr nichts von seinem Erbarmen – jetzt hat er euch sein Erbarmen erwiesen.

Der Text ist nicht ganz leicht zu verstehen, aber sehr gut für uns. Schauen wir zuerst den letzten Abschnitt an: Ihr seid Gottes Volk, eine königliche Priesterschaft – wir sind Gottes Volk. Großes wird uns zugesprochen und zugetraut. Wir kennen Gottes Erbarmen. Wir sind in sein wunderbares Licht gerufen. Wir sollen seine großen Taten verkünden. Wir Christen haben einen Auftrag an die Welt. Wir müssen widersprechen, wenn erbarmungslos zurückgeschlagen wird. Die Leidenden und die, die ihnen Leid zufügen, die Machtlosen und die Mächtigen müssen von den großen Taten Gottes hören. Die Welt braucht sein Licht, das Licht der Hoffnung, dass Gott alle Tränen abwischen wird. Wir Christen haben den Auftrag, davon nicht zu schweigen, die Traurigen zu trösten und das Unrecht beim Namen zu nennen. So viel traut Gott uns zu – ihm allein gehören wir. Petrus nennt uns eine königliche Priesterschaft. Die Reformatoren sprachen vom Priestertum aller Getauften. Jeder Christ darf sich zutrauen, zu verstehen, was Gott uns durch sein Wort sagt. Jede und jeden will Gott selbst unmittelbar ansprechen. Wir alle, jede und jeder an seinem Platz, hat Anteil am Auftrag, das Erbarmen und die großen Taten Gottes zu verkünden. Einer falschen Deutung, die lange vertreten wurde, müssen wir widersprechen: Wir sind nicht an die Stelle des Gottesvolkes Israel getreten. Wir Christen haben nicht Israel als Gottesvolk ersetzt. Wir sind hinzugekommen. Wir sind mit dem Gottesvolk, Israel verbunden. Wir teilen mit den Juden nicht den Glauben an Jesus Christus, aber sehr wohl den Glauben an den barmherzigen Gott. Leid und Unrecht in Israel schmerzen uns darum besonders.

Petrus gibt uns hilfreiche Bilder. Vielleicht haben Sie noch im Ohr, wie ein hungriges Baby schreit, ungeduldig fordernd, zornig, und doch hilflos, darauf angewiesen, dass es gestillt wird. Wie gierig es dann an Flasche oder Brust saugt, als wäre es beinahe verhungert. So gierig sollen wir sein. So tief bedürftig sind wir, angewiesen darauf, dass unser Hunger gestillt wird. Wir spüren, wie bedürftig wir sind, ungestillt, manchmal außer uns vor Hunger nach einem heilen und guten Leben: Im Erschrecken über die Nachrichten von wehrlosen Opfern, im Entsetzen über das Leid, in der Betroffenheit von dem, was uns selbst angreift, Streit und Bosheit, Krankheit, Sterben und Trauer. Gierig wie ein Baby sollen wir trinken, was uns gut tut, was uns wachsen lässt. Milch sollen wir trinken, „Wortmilch“, könnte man sagen, denn Petrus schreibt von unverfälschter und vernünfti-ger, „worthaltiger“ Milch. Gottes Wort soll uns stillen und wir sollen es gierig in uns aufnehmen. Wie ein Kind ruhig und froh an seiner Mutter Brust wird, so sollen wir über all das Fremde Trost erfahren, gestillt werden. Gottes Wort ist unsere erste und wichtigste Grundnahrung. Wir haben ja, schreibt Petrus, geschmeckt, wie freundlich der Herr ist. Gott ist unser Freund. Er will, dass wir wachsen, dass wir erwachsen werden. Groß und stark wird nicht der, der viel liest und in sich hinein stopft, sondern der das Gute immer wieder liest und wirken lässt. Erschüttert von den Nachrichten, angegriffen, bedrängt, höre ich, wie da einer betet: „Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand.“(Ps 73,23) oder höre ich den Zuspruch Gottes an sein Volk: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ (Jes 43,1) Worte wie ein Zuhause.

Noch ein Bild reicht uns Petrus – er findet es in der Schrift und legt es uns aus. „Kommt zu Jesus!“, so ruft er uns zu, und dann nennt er Jesus den lebendigen Stein. Sagt man nicht, Steine sind kalt und hart und tot? Versteinert ist das Gegenteil von lebendig. Aber Jesus ist lebendiger Stein, Leben, das den Tod überwindet. Jesus ist der von Gott ausgewählte Stein, der unschätzbar wertvolle Stein, auf den Gott baut. „Kommt zu Jesus, seid selbst lebendige Steine, lasst euch einfügen in das Haus, das Gott baut, erfüllt von seinem Geist!“ Auch wir sollen leben. Wie Jesus sollen wir sein. Wie er sollen wir dem Tod widersprechen. Wir sind Teil in seinem Haus, lebendige Steine. Die Gemeinde Jesu bekommt ein Zuhause und bietet ein Zuhause. Das ist kostbar in einer Welt, in der so vieles fremd und feindlich wird. Uns erschüttert, was in der Welt geschieht, aber wir haben auch in diesen Tagen Halt durch ihn, der uns erlöst. Viele stoßen sich an Jesus, stolpern über diesen Stein, erkennen ihn nicht. Für uns aber ist er der Eckstein, der Grund unseres Lebens, das Fundament unserer Hoffnung.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen