Predigt am 5.10.14 von Andreas Hansen über 1.Mose 2,4b-8+15
Liebe Gemeinde, vielleicht kennen Sie dieses Bild:
Es ist nur ein Ausschnitt aus Michelangelos „Erschaffung Adams“ in der Sixtinischen Kapelle. Fast berühren sich die Hände Gottes und Adams. Liebevoll ist Gott dem Menschen zugewandt. Kraftvoll, bestimmend die Hand Gottes: „Du sollst leben!“ Zögernd, fast hilflos, noch schwach Adams Hand, der Mensch, seiner selbst kaum bewusst. Adams schöne Gestalt, die Hand Adams, die Gottes Hand gleicht, alles weist hin auf die hohe Bestimmung des Menschen. Und doch ist er ohne Gottes Willen nichts, Staub, ohne Gottes Lebensodem leblos. Michelangelo malt wunderschön, was wir gerade aus der Bibel hörten. Wer bin ich? Ein Geschöpf Gottes. Warum bin ich? Weil Gott mir Leben und alles geschenkt hat. Weil Gott mein Leben will. Keinen Tag, keine Stunde kann ich sein ohne Gott. In jedem Atemzug ist seine Güte, sein Ja zu mir. Matthias Claudius empfahl täglich zu singen: „Ich danke Gott und freue mich, wie´s Kind zur Weihnachtsgabe, dass ich bin, bin! Und dass ich dich, schön menschlich Antlitz! habe.“
Viel zu kurz greift die Frage, ob die Bibel die Entstehung der Welt und des Menschen zutreffend beschreibt oder ob sie von der Evolutionslehre widerlegt sei. Der Schöpfungs-bericht erklärt nicht die Entstehung der ersten Menschen oder der Gattung Mensch. Adam heißt Mensch. Wir alle, jede und jeder ist Adam, Mensch. Menschliches Leben können Wissenschaftler immer genauer erforschen und beschreiben, wie es entstanden ist. Es hat sicher Millionen von Jahren gebraucht, bis einfachstes Leben entstand, bis es sich weiter und weiter entwi-ckelte bis zu so einem komplexen Wesen wie dem Menschen. Die Erklärung der Biologen und Forscher ist beeindruckend, aber sie berührt mich nicht in meiner Person. Sie steht auf einer völlig anderen Ebene als der biblische Bericht. Sie gibt keine Antwort auf die Frage nach meiner Existenz: wer bin ich? warum lebe ich? Staunend haben Menschen die wunderbare Güte Gottes erkannt und ihn als ihren Schöpfer gepriesen. Dankbar haben sie verstanden: „Ich bin dein Geschöpf, Gott. Ich lebe, weil du Leben willst, weil du mich, mich willst.“
Irgendwann war die Erde wüst und ohne Leben. Irgendwann gab es mich noch nicht, keinen von uns. Wir sind so gewiss, dass wir leben, und können uns die Welt ohne Leben und ohne uns kaum vorstellen. Aber kein Leben ist selbstverständlich. Alles, auch mein Leben ist Gottes wunderbare Gabe. Und wie schön, wie großartig hat Gott alles geschaffen! Betrachten Sie als Beispiel Ihre eigene Hand: Ein Meisterwerk! 27 Knochen, 33 Muskeln, die meisten davon im Unterarm, drei Hauptnerven und eine ungeheure Zahl von Nervenenden und Fühlpunkten. Gezielt und vielfältig können wir unsere Hand gebrauchen, tasten und fühlen, ein kleines Krümelchen auflesen, ein winziges Haar greifen, ein schweres Paket heben. Blitzschnell sausen die Finger über Orgeltasten oder Gitarrensaiten. Wunderbar wissen Köche und Künstler, Maurer und Masseure ihre Hände zu gebrauchen. Und jede Hand ist etwas Besonderes, mit individuellen Fingerabdrücken, eigener Handschrift, besonderen Erfahrungen und Fertigkeiten.
„Da machte Gott den Menschen aus Erde vom Acker.“ Es steht eigentlich nicht da, wie Gott den Menschen macht. Wir stellen uns vielleicht, so unangemessen das sein mag, Gottes Hände vor. Wir können nicht anders, als von uns selbst her zu denken, in Menschenbildern. Unsere Vorstellung ist zu gering für Gott. Wir wissen, und auch Michelangelos Zeit und die Erzähler der Bibel wussten, dass Gott nicht Hände hat wie wir. Es steht nicht da, wie Gott den Menschen macht. Aber wenn schon unsere Hände so Wunderbares gestalten können, wie viel mehr dann erst Gott! „Da machte Gott den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase.“ Gott ist ganz anders. Er steht der Welt gegenüber. Aber er bleibt nicht fern und distanziert. Gott wendet sich seinem Geschöpf so nah zu, dass er den Menschen beatmet. Eine liebevolle Geste, wie ein Kuss. Der Lebensodem kommt von Gott. Das Leben gehört Gott. Er gibt uns mit jedem Atemzug etwas von sich. Wir nehmen von Gott unser Leben. Gott vertraut uns unser Leben an. Und Gott macht uns zu Mitarbeitern an seiner Schöpfung. Wir sollen bebauen und bewahren, was Gott geschaffen hat. Gott vertraut uns seine Schöpfung an. Wir tragen Verantwortung. Immer deutlicher erkennen wir die Folgen unseres Tuns. Wir sehen, was wir Menschen aus Habgier und Gleichgültigkeit anrichten. Wir verbrauchen die Ressourcen der Erde. Wir verändern das Klima. Wir vernichten Leben. Adams Hand wird sich nehmen, was ihm nicht zusteht. Kains Hand wird den Bruder töten. Wir sind Adam und Kain. Unsere Hände können so zärtlich, wohltuend und liebevoll sein. Viel Gutes können sie vollbringen. Aber sie können auch gewalttätige, gierige, grobe Hände sein, Hände die verletzen und Böses anrichten. Gott hat uns viele Möglichkeiten in die Hand gegeben, uns durch unsere Hände viele Begabungen geschenkt. Wenige Verse später berichtet die Bibel, dass der Mensch mit der Freiheit nicht umgehen kann, dass er Gott widerspricht und schuldig wird. Sehen Sie bitte noch einmal den Bildausschnitt von Michelangelo an: Gottes Hand und die Hand des Menschen. Gerade hat Gott den Menschen beseelt, ihm Leben eingehaucht, ihn ins Leben gelassen. Gottes Hand weist bestimmt auf Adam: „Du sollst leben!“ Sie zeigt auch auf Adams Hand: „Gebrauche deine Hand! Bebaue die Erde, von der du genommen bist! Gestalte die Welt mit all den Fähigkeiten und Möglichkeiten, die dir in die Hand gelegt sind. Nimm deinen Verstand und dein Herz dazu, dass deine Hände nicht zerstören oder gierig sammeln, sondern die gute Schöpfung bewahren.“ Gott entlässt uns in die Verantwortung, aber er lässt uns nicht los. Gott gibt seine Schöpfung nicht aus der Hand. Schöpfung ist nicht damals irgendwann und nun läuft alles einfach weiter. Gott bleibt bei seiner Schöpfung. Gott sorgt für uns. Die Bibel beschreibt den hohen Auftrag, den wir haben, und gleich danach unser Versagen. Von Anfang an ist Gott geduldig mit uns. Von Anfang an liebt er uns und hält er zu uns, obwohl wir ihm widersprechen.
Und ein Letztes: Wir sind Geschöpfe – das heißt auch: wir sind begrenzt. Wenn unsere Hände ihren Dienst nicht tun, ermessen wir erst, wie groß Gottes Gabe ist. Schon ein Spreißel im Finger hindert uns oder ein Verband oder gar eine Lähmung. Jede Einschränkung erinnert uns daran, dass alles, was wir sind und können, begrenzt ist. „Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.“ Der Dichter benennt, was wir uns kaum vorstellen können und mögen. Das Lob der Schöpfung Gottes hat auch Ende und Zerfall im Blick, aber nur, um noch inten-siver das Leben in seiner Fülle und Schönheit zu preisen und Gott zu loben, der das Leben schenkt. Gott liebt seine Geschöpfe. „Du sollst leben!“ sagt Gott zu Adam, zu uns. „Du sollst leben und an deinem Platz bebauen und bewahren, was dir gegeben ist.“ Amen