1.Mose 18,16+17.20-33

Predigt am 2.11.14 von Andreas Hansen über 1.Mose 18,16+17.20-33

Gottesdienst zum Reformationsfest, Lesung vorher Röm 3,21-28, Lied vor der Predigt EG 382 Ich steh vor dir mit leeren Händen, Gott

Liebe Gemeinde, ich mag dieses Lied, weil es so ehrlich ist. Mit leeren Händen stehe ich vor dir, Gott, mit meinem schwachen Glauben, meinem Unvermögen. Fremd wie dein Name sind mir deine Wege. So vieles verstehe ich nicht. Und doch stehe ich vor dir.

Martin Luther schreibt über seinen Weg: „Ein ganz ungewöhnlich brennendes Verlangen hatte mich gepackt, Paulus im Römerbrief zu verste-hen; aber nicht Kaltherzigkeit hatte mir bis dahin im Wege gestanden, sondern ein einziges Wort, das im ersten Kapitel steht: “Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart“. Denn ich hasste diese Vokabel „Gerechtigkeit Gottes“ … Ich … liebte nicht, nein, ich hasste den gerechten und die Sünder strafenden Gott und war … empört über Gott.“ Können Sie verstehen, dass ein Mensch das Wort „Gerechtigkeit Gottes“ hasst? Dass er Gott hasst? Man muss kein Mönch und kein gelehrter Theologe sein, um Luther zu verstehen. Vielen Menschen fällt zu Gott nur ein: „der bestraft die Sünder“. Düster und bedrohlich ist dieser Gott. Ist Gott so?

Ich lese den Predigttext: 1.Mose 18,16-17.20-33

Da brachen die Männer auf und wandten sich nach Sodom, und Abraham ging mit ihnen, um sie zu geleiten. Da sprach der HERR: Wie könnte ich Abraham verbergen, was ich tun will … Und der HERR sprach: Es ist ein großes Geschrei über Sodom und Gomorra, dass ihre Sünden sehr schwer sind. Darum will ich hinabfahren und sehen, ob sie alles getan haben nach dem Geschrei, das vor mich gekommen ist, oder ob’s nicht so sei, damit ich’s wisse. Und die Männer wandten ihr Angesicht und gingen nach Sodom. Aber Abraham blieb stehen vor dem HERRN und trat zu ihm und sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; wolltest du die umbringen und dem Ort nicht vergeben um fünfzig Gerechter willen, die darin wären? Das sei ferne von dir, dass du das tust und tötest den Gerechten mit dem Gottlosen, sodass der Gerechte wäre gleich wie der Gottlose! Das sei ferne von dir! Sollte der Richter aller Welt nicht gerecht richten? Der HERR sprach: Finde ich fünfzig Gerechte zu Sodom in der Stadt, so will ich um ihretwillen dem ganzen Ort vergeben. Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich Erde und Asche bin. Es könnten vielleicht fünf weniger als fünfzig Gerechte darin sein; wolltest du denn die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben. Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht vierzig darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen. Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte vielleicht dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so will ich ihnen nichts tun. Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich unterwunden, mit dem Herrn zu reden. Man könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: Ich will sie nicht verderben um der zwanzig willen. Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, dass ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht zehn darin finden. Er aber sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen. Und der HERR ging weg, nachdem er aufgehört hatte, mit Abraham zu reden; und Abraham kehrte wieder um an seinen Ort.

Abraham bleibt vor Gott. Gott bleibt bei ihm. Abraham kämpft um Sodom. Er kämpft und feilscht mit Gott. Sodom geht dennoch unter. Nur Abrahams Neffe Lot, seine Frau und seine Töchter werden gerettet. Lots Frau schaut zurück auf die Stadt. Was sie sieht, lässt sie erstarren. Wie eine Salzsäule steht sie da.

Für die Menschen in Pforzheim bleibt der 23. Februar ein Tag schrecklicher Erinnerungen. Zahllose Bomben fielen am 23.2.1945 auf die Stadt, der Feuersturm vernichtete sie fast komplett. Die Zahl der Opfer wird auf 17600 geschätzt. Eine Skulptur an der Tür der heutigen, in den sechziger Jahren gebauten Stadtkirche stellt Lots Frau dar.

Noch immer denken viele an das, was vor 70 Jahren geschah. Noch immer ist die Zerstörung unfassbar. Wir hören die Zahlen von damals und die Zahlen von heute. Tote, Flüchtlinge, Verletzte. Hinter den Zahlen wissen wir lauter einzelne Menschen, die meisten von ihnen ohne Schuld in Krieg und Leid geraten, ihr Leben gezeichnet, zerbrochen – unvorstellbar.

Sara fragt: Du bist einfach stehen geblieben, Abraham, vor Gott stehen geblieben?

Ja.

Du hast Gott … gesehen?

Die Männer waren fort, seine Boten – die hast du auch gesehen, Sara – aber Gott war da. Das hab ich irgendwie gewusst. Ich hab mit ihm geredet, hab gesagt: Das kannst du nicht machen, die ganze Stadt! Das sind doch auch gerechte, nicht nur schlechte Menschen. Das kannst du nicht machen, Gott! Du bist doch gerecht, der Richter aller Welt! Ich wurde richtig wütend.

Ich bewundere dich, Abraham. Viele sagen: „Das ist nicht mehr mein Gott.“ Du nicht. Du betest für Sodom. Du kämpfst mit Gott. So viel Schreckliches geschieht in der Welt. Städte werden zerstört, Unschuldige sterben. Aber du erwartest immer noch Gutes von Gott. Ich bewundere deinen Glauben, Abraham, deinen Glauben trotz allem.

Ich habe gesagt: Wenn es 50 Gerechte in der Stadt gibt – die kannst du doch nicht einfach umbringen. Dann bekam ich Angst. Vielleicht sind es nicht ganz 50, fünf weniger. Immer weiter hab ich verhandelt, hab mit Gott gefeilscht wie auf dem Basar. Weißt du was: Mir war so, als würde Gott lächeln, als er antwortete. Er hat gern mit mir gefeilscht. Er wollte, dass ich für Sodom bitte. Er wollte genau wie ich, dass dort wenigstens zehn Gerechte wären.

Aber jetzt ist nichts mehr von Sodom übrig. Nur Lot und … du, Abraham, meinst du, Lot ist ein Gerechter?

Sara, meinst du, ich bin ein Gerechter?

„Wisse, vor wem du stehst!“ – wenn der Vorbeter in der Synagoge seinen Platz einnimmt, sieht er diesen Satz: „Wisse, vor wem du stehst!“

Mit leeren Händen stehe ich vor dir, Gott, mit meinem schwachen Glauben, meinem Unvermögen. Fremd wie dein Name sind mir deine Wege. So vieles verstehe ich nicht. Und doch stehe ich vor dir. Ich darf vor dir stehen, darf dir meine Fragen sagen und das, was mich ratlos macht, traurig und wütend macht. Du willst wie ich, dass die Menschen in Syrien nicht flüchten müssen und dass die Mörder zur Besinnung kommen.

Wie ist Gott?, fragt Luther und verzweifelt fast an der Vorstellung vom strafenden Richter. Bis er zu verstehen beginnt: Gott schenkt Gerechtigkeit. Gott befähigt uns zur Gemeinschaft mit ihm – gerecht ist gemeinschafts-fähig. Gott stiftet eine Beziehung, Glauben.

Gerechtigkeit. Gemeinschaft. Glauben. Fast wie ein Freund steht Abraham vor Gott. Abraham und Gott sind verzweifelt und traurig über Sodom. Gott und Abraham wollen so gerne, dass wenigstens zehn Gerechte in der Stadt wären.

Bleib stehen, Abraham! Bleibt stehen vor Gott!

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen