1. Korinther 13 – das Hohelied der Liebe

Predigt am 7.2.16 von Andreas Hansen über 1.Kor 13

Eugen Roth schrieb:

„Ein Mensch von gründlicher Natur, macht bei sich selber Inventur, und viele höchste Lebensgüter sind nurmehr alte Ladenhüter. Doch, ganz vergessen unterm Staube, ist noch ein Restchen alter Glaube, verschollen im Geschäftsgetriebe hielt sich auch noch ein Quäntchen Liebe, und unter wüstem Kram verschloffen entdeckt er noch ein Stückchen Hoffen. Der Mensch, verschmerzend seine Pleite, bringt die drei Dinge still beiseite.“

Was bleibt, wenn ein Mensch bei sich Inventur hält, wenn wir durchschauen, dass viele höchste Lebensgüter nur noch alte Ladenhüter sind? Was bleibt, sind Glaube, Liebe, Hoffnung.

„Ach, ihr Korinther!“ Paulus seufzt. Bei seiner Inventur der Gemeinde kommt nicht viel Gutes zum Vorschein. Es gibt streitende Parteien, die einander den Glauben absprechen. In der Weltstadt Korinth prallen die Gegensätze aufeinander. Die Gemeindemitglieder kommen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen. Da sitzen philosophisch gebildete Griechen, denen die Freiheit über alles geht, neben christusgläubigen Juden, die die Gebote der Thora halten. Zur Gemeinde gehören ebenso reiche Leute aus der Oberstadt wie Sklaven und Tagelöhner aus dem Hafenviertel. Kann man so große Verschiedenheiten aushalten? Der Streit wird immer schärfer. Die Gemeinde droht daran zu zerbrechen. Paulus hält eine schmerzhafte Inventur. Im Kapitel 12 widmet er sich den Leuten, die sich wegen besonderer geistlicher Begabung für bessere Christen halten. Zuletzt schreibt er: „Ihr strebt nach den größeren Gaben? Dann will ich euch einen Weg zeigen, der weit besser ist.“ Und es folgt das berühmte Hohelied der Liebe, unser Predigttext.

Was Paulus kunstvoll und schön über die Liebe schreibt, zielt genau auf die Christen in Korinth. Die einen geben damit an, dass sie so stark beten, dass sie dabei in Ekstase geraten, in einen Höhenflug des Gefühls. Paulus antwortet: Mein schönstes Gebet, mit Menschen- und mit Engelszungen gesprochen – es klingt schrill und abscheulich, wenn ich die Liebe nicht habe. Andere sind stolz auf ihren Glauben und ihre Erkenntnis. Paulus meint: Trotzdem bin ich nichts, wenn ich die Liebe nicht habe. Auch denen, die mit ihren Spenden und ihrer Opferbereitschaft prahlen, antwortet er: Das nützt nichts, wenn ich die Liebe nicht habe.

Aber wer würde denn von sich behaupten: „Ich habe die Liebe.“? Sehen wir auf uns selbst, dann kommt nur ein Quäntchen Liebe zum Vorschein. „Ich habe die Liebe.“ – wie meint Paulus das? Er sieht eben nicht zuerst auf sich selbst. Er blickt weg von sich auf Christus, auf Gott. Er sieht auf den, der uns liebt. Seine Liebe habe ich. Ich bin ein geliebter Mensch. Ich habe die Liebe – die Liebe hat mich. Paulus will die Christen in Korinth zu diesem Wechsel der Perspektive bewegen. Er will sie aus ihrer ganz und gar unchristlichen Rechthaberei und Selbstbezogenheit befreien. Die Christen in Korinth damals und wir heute, z.B. evangelische und katholische Christen, wir sollen gerne unterschiedlich sein, aber unsere Stärken und Gaben sind nichts, wenn wir die Liebe nicht haben. Die Mitte des Glaubens ist der Blick auf den, der uns liebt. Wir sehen uns selbst und genauso die anderen als von Gott geliebte Menschen. Gott liebt die hochmütigen Korinther, an denen Paulus in seinem Brief so viel zu kritisieren hat. Gott liebt auch den Menschen, der nur einen schwachen Glauben, nur wenig Liebe und Hoffnung bei sich findet. So oft werden wir anderen nicht gerecht, unseren Kindern, unseren Partnern, Menschen, die uns brauchen, und Gott liebt uns doch. Wir haben die Liebe – die Liebe hat uns.

Paulus beschreibt wunderschön, wie die Liebe ist, was die Liebe tut. Wieder spricht er zuerst von Gott. Der Mensch, der völlig Gott entspricht, das wahre Bild der Liebe, ist Jesus Christus. Hören wir noch einmal die Verse und schauen wir dabei in Gedanken auf ihn. Die Liebe hält geduldig aus. Gütig handelt die Liebe. Sie wird nicht fanatisch, die Liebe prahlt nicht und spielt sich nicht auf, sie verletzt nicht die Scham, sie ist nicht auf eigenen Vorteil aus, sie lässt sich nicht aufhetzen, sie rechnet das Böse nicht vor, sie freut sich nicht über das Unrecht, sie freut sich über die Wahrheit, alles erträgt sie, alles traut sie zu, alles erhofft sie, allem hält sie stand.

Unser Lieben gelingt uns nur unvollkommen, bruchstückhaft. Es ist Stückwerk, ein Quäntchen. Und doch leuchtet darin ein Widerschein von Gottes Liebe, eine Ahnung seiner vollkommenen Liebe. Wir sind zu seinem Ebenbild geschaffen. Das Hohelied der Liebe wird so gerne bei Hochzeiten gelesen. In der Liebe zueinander erahnen wir, dass wir zum Ebenbild Gottes bestimmt sind. Wo Menschen für andere da sind, ohne an ihren Vorteil zu denken, wo wir einander Schwäche zeigen können, ohne Angst zu haben, wo wir einander ertragen mit allen Konflikten, mit allem, was Mühe macht, wo wir uns trotz mancher Unterschiede verbunden fühlen, da berühren sich Himmel und Erde. Wir haben die Liebe – die Liebe hat uns. Wir kennen unsere Schwäche und unser Unvermögen und versuchen doch der Liebe nachzuleben, zu antworten auf Gott, der uns liebt. Wir sehnen uns nach liebevoller Gemeinschaft, wir wollen eine gute Ehe, eine vertrauensvolle Familie, aber die Wirklichkeit ist oft belastet und konfliktreich, längst nicht so heil. Bitten wir Gott in Jesus Namen, dass wir Liebe erfahren und schenken können. Paulus schreibt, dass unsere Erkenntnis der Liebe wächst, wie ein Kind, das reifer wird. „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“ Damals gab es nur Spiegel aus poliertem Metall, z.B. eine Kupferscheibe. Darin kann man schemenhafte Umrisse erkennen, mehr nicht. Gott bleibt Geheimnis. Die Optik ist gebrochen, der Blick auf Gott verrätselt. Aber wie schön und ergreifend: Gott spiegelt sich in den Scherben und Brüchen der menschlichen Existenz. „Jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ Wir bleiben nicht kindlich in unserem Erkennen. Gottes Geheimnis wird sich uns erschließen. Wir werden sehen, was uns noch verborgen ist, wie Himmel und Erde sich berühren. In dieser Woche beginnt die Passionszeit. Jesus geht den Weg in Leid und Tod. Er trägt sein Kreuz, damit uns nichts und niemand von Gottes Liebe trennt.

Darum zum Schluss eine neue Version von Eugen Roths Gedicht:

Ein Christ von gründlicher Natur hält bei sich selber Inventur und findet viele dunkle Flecken, viel lieber wollt er die verstecken. Da ist nur wenig Glauben, Hoffen. Der Christ ist über sich betroffen. Bei ihm ist nicht viel Liebe dran, so schaut der Christ auf jenen Mann, von dem er seinen Namen hat, sieht seine große Liebestat. Der Christ ist nun trotz seiner Pleite erfüllt von einer großen Freude.

Amen

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