Predigt am 29.11.15 von Andreas Hansen über Lk 1,68-79
Kantatengottesdienst- LK 1,68-79 wurde mit dem Gesangbuch, EG 778 gemeinsam gelesen, dann folgte die Uraufführung eines Stücks von Otfried Büsing, Die Weissagung des Zacharias, anschließend die Predigt - LIed nach der Predigt EG 16, die Nacht ist vorgedrungen
Was ist los mit Zacharias? Der Priester kommt aus dem Heiligtum. Er hebt die Arme zum Segen, öffnet den Mund – aber er sagt kein Wort. Er kann nicht sprechen. Er lässt die Arme wieder sinken, verwirrt, beschämt, erschüttert. Zacharias ist stumm. Was mit ihm los ist? – Er kann nicht glauben. Er kann nicht glauben, was er im Tempel gehört hat, was der Bote Gottes zu ihm sagte. Seine Frau und er sind doch zu alt für ein Kind. Lang haben sie vergeblich gewartet und gehofft. Jetzt ist es zu spät. Er ist zu alt für ein neues Leben. Er glaubt dem Boten nicht. Darum ist er nun stumm. Er glaubt Gott nicht. Ihm hat sein Unglaube die Sprache verschlagen.
Den Einwand des Zacharias kennen wir: Müdigkeit, Schwäche, Resignation, das Gefühl, auf der Stelle zu treten, keinen Schritt voran zu kommen. Wer glaubt schon, dass eine zerrüttete Ehe noch zu retten ist? Wer meint, dass aus einem gestörten, aggressiven Kind etwas werden kann? Wer traut sich selbst zu, noch einmal ganz anders zu beginnen? „Das wird nichts. Das schaffen wir nicht. Das ist nicht drin.“
Tiefe Resignation kennzeichnet unsere Welt. Ich fragte, was denn unsere Hoffnung als Christen sei, wenn wir Terror und Gewalt in der Welt sehen. Die spontane Antwort: „Dass es uns nicht trifft.“ Ertappt! Natürlich hoffe ich und hoffen wir, dass wir vor Gewalt verschont bleiben. Friede in Syrien und im ganzen Nahen Osten? Gerechtigkeit für die Opfer der Gewalt? Dass die Fanatiker zur Besinnung kommen? Oder ein anderes Thema: dass wir alle unser Leben ändern, um das Klima zu schonen? Wer mag das glauben? Gleichgültig oder verzagt, egoistisch oder rechthaberisch wenden wir uns ab. Aber es genügt nicht, zu hoffen, dass es uns nicht trifft.
Zacharias verstummt. Lange schweigt er. Eine Schweigekur, eine heilsame Zeit, still zu sein, zu hören, zu warten. Oft sind wir besser still, hören, versuchen zu verstehen, wägen ab, was wahr und hilfreich ist, bevor wir zu reden beginnen. Wir überfordern Politiker und Journalisten, wenn wir sofort nach einem Ereignis eine Reaktion erwarten. Pausenlos sollen sie präsent sein, jederzeit einen wegweisenden Kommentar abgeben. Da ist es kein Wunder, dass sie kaum zuhören und uns oft mit leeren Worten abspeisen.
Zacharias muss schweigen. Das tut ihm gut. Er lernt auf Gott zu hören. Er lernt zu vertrauen. „Vertrauen, dieses schwerste ABC. Solange wir leben, müssen wir dieses schwierige ABC neu buchstabieren. Täglich. Jeder von uns. Es ist der Atem selbst.“ (Hilde Domin) Es ist der Atem selbst, jeder Atemzug von Gott geschenkt, kein Schritt aus eigener Kraft. Wir begründen nicht selbst unser Leben. Wir empfangen es. Zacharias lernt, mehr von Gott zu erwarten, als von sich selbst. Dann geschieht, was er nicht mehr zu hoffen wagte.
Er schreibt den Namen seines Sohnes auf eine Tafel: Johannes, Gott ist gnädig. Und wie er plötzlich verstummt ist, so öffnet ihm Gott nun wieder den Mund. Zacharias weiß ein Lied von Gott zu singen, von Gottes Barmherzigkeit und Treue. Gott ist hier. Es ist wahr. Gott ist bei uns. Ohne Furcht können wir unseren Weg gehen. Er sieht sein Kind an und staunt und singt.
„Benedictus Dominus! Gesegnet sei der Herr, der Gott Israels!“ Zacharias segnet Gott, der ihn gesegnet hat. Es ist eine fröhliche Antwort: Von dir, Gott, kommt das Leben, aus deiner Hand empfangen wir alles. Ich segne dich, ich preise dich. Zacharias´ Lied ist nicht neu. Es ist gefüllt mit Worten aus der Schrift und den Gebeten Israels. Er leiht sich Sprache aus. Er reiht sich ein in die Gemeinschaft der Glaubenden. Er erinnert an David, an Abraham, an die Väter und Mütter des Glaubens. Wenn wir beten, werden wir mehr als wir selber. Zacharias singt und jubelt. Auf einmal sind die alten Worte für ihn wahr und bedeutungsvoll. Er erlebt selbst, was Israel glaubt: Gott hat sein Volk besucht und erlöst. Gott hat eine Macht des Heils aufgerichtet. Gott rettet uns vor den Feinden. Gott denkt an seinen Bund.
Und dann sieht Zacharias Licht, Licht für alle, die im Dunkel sind. Wie ein neuer Tag anbricht, so kommt Gott zu uns. „Gepriesen sei der Herr, der Gott Israels!“ Jeden Morgen wird das Benedictus gebetet. In Klöstern und Gemeinschaften wird der Gott Israels gepriesen und die Hoffnung bekannt auf Christus, den hellen Morgenstern. „Der helle Morgenglanz aus der Höhe wird zu uns kommen, um denen Licht zu bringen, die in der Finsternis und im Schatten des Todes leben, und um unsere Schritte auf den Weg des Friedens zu lenken.“
Christus kommt! Der Morgenstern geht auf! Das aufgehende Licht öffnet unsere Herzen und richtet unsere Füße auf den Weg des Friedens. Wir warten auf Klarheit in dem, was uns bedrängt, in unseren persönlichen Sorgen und Fragen, in den großen Konflikten. Wir warten auf Klarheit, dass wir einen Weg finden und den Mut für den ersten Schritt bekommen. Wir hoffen auf Licht für die, die im Finstern sind. Im Schatten des Todes: Die Opfer von Terror und Gewalt, Menschen, die alles verloren haben, unbegleitete Jugendliche auf der Flucht, schlecht versorgte Menschen in den riesigen Lagern in Jordanien, dem Libanon, der Türkei. Wir hoffen auf Licht für sie und für alle, die sie betreuen, die ihre Geschichten hören und sich um das Nötigste für sie bemühen, die über der ungeheuren Aufgabe schier verzweifeln. Dringend warten und hoffen und beten wir.
Es ist Advent: Christus kommt. Wir bitten: rühr uns an, dass wir es glauben! Lass uns, wenn es sein muss, verstummen, dass wir hören, warten, hoffen, dass wir alles von dir erwarten, dass wir dir vertrauen!
Es ist Advent: Christus kommt! Der Morgenstern geht auf! Das aufgehende Licht öffnet unsere Herzen und richtet unsere Füße auf den Weg des Friedens. Stimmen wir ein in das Lied!
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